Rundbrief November / Dezemder 2011

Inhalt

1. Lehrbuch mit CDs - Improvisation mit Hariprasad Chaurasia
2. tha-ki-ta-tha - Tabla-Dokumentation
3. Sonderangebote zu Weihnachten
4. Jagjit Singh, König des Ghazal-Pop - Nachruf
5. Vertriebspartner (3) - Merlyn
6. Mail aus Delhi (2) - Qawwali-Kulturschock
7. Konzerttermine

 


1. Lehrbuch mit CDs - Improvisation mit Hariprasad Chaurasia
- Neu im Sortiment -


Improvisation ist wesentlich für die Interpretation klassischer indischer Ragas. Traditionell lernt man stilgerecht zu improvisieren, indem man Jahre oder Jahrzehnte mit einem Lehrer verbringt und im lebendigen Dialog dessen Musik in sich aufnimmt, nachspielt, und so über das Kopieren eines Vorbildes schließlich zum eigenen Ausdruck findet. Aber unsere schnelllebige Moderne macht es zusehends schwieriger, lange Zeit mit bedeutenden Lehrern zu verbringen. So wird das Lernen über Noten, Audio- und Videoaufnahmen in Ergänzung zum oder gar als Ersatz für den persönlichen Kontakt immer wichtiger.

Bisher gab es bei den veröffentlichten Medien allerdings eine große Lücke: Einführendes Lehrmaterial ist heute für viele Instrumente vorhanden. Und Konzertaufnahmen großer Meister gibt es ebenfalls reichlich. Aber didaktisch aufbereitetes Material, das beispielhaft und zum Mitspielen zeigt, wie Raga-Improvisation auf Konzertniveau funktioniert, gab es bisher nicht. Diese Lücke füllt "Hariprasad Chaurasia and the Art of Improvisation", ein 200-seitiges Buch mit Notationen und zwei CDs, zusammengestellt und herausgebracht von Henri Tournier. Das Medienpaket ist quasi ein Muss für alle, die sich vertiefend mit dem Spiel der Bansuri auseinandersetzen möchten. Es bietet aber auch faszinierende Einblicke und anspruchsvolles Studienmaterial für alle Instrumentalisten, Sänger und Musikwissenschaftler, die sich intensiver mit dem Studium klassischer Ragas befassen.

Hariprasad Chaurasia, bedeutendster indischer Flötist der letzten Jahrzehnte, weltweit gleichermaßen anerkannt als Raga-Interpret, Fusion-Musiker und Filmmusik-Komponist, unterrichtet seit 1991 regelmäßig im Studiengang Indische Musik am Konservatorium Rotterdam. Da er nicht ganzjährig vor Ort sein kann, hat er für seine Studenten immer wieder maßgeschneiderte Improvisationen eingespielt, mit denen sie während seiner Abwesenheit arbeiten konnten. Im Grunde handelt es sich dabei um kurze, auf wesentliche Merkmale reduzierte Konzertstücke. Um sie vollständig zu erschließen, sind diese Stücke dann von den Studenten in Zusammenarbeit mit Henri Tournier, langjähriger Schüler und Assistent von Hariprasad, analysiert und in indischer Sargam-Notation transkribiert worden. Im Laufe der Jahre hat sich so eine Materialsammlung ergeben, die inzwischen wesentliches Unterrichtsmaterial in Rotterdam geworden ist. Das Nachspielen dieser kompletten Stücke soll zu einem Verständnis der zugrundeliegenden Prinzipien führen und als Referenz für die Entwicklung eigener Improvisationen dienen.

CD 1 enthält Stücke in den Ragas Yaman, Hansadhvani, Desh, Malkauns und Bhimpalasi sowie Tabla-Aufnahmen mit wichtigen Talas. Während die Interpretationen von Yaman, Hansadhvani und Desh mit je rund drei Minuten noch sehr kompakt gehalten sind, werden in Bhimpalasi mit über 14 und in Malkauns mit 21 Minuten schon sehr ausführliche Darstellungen geboten. Alle Aufnahmen werden in Sinn und Struktur gründlich analysiert und bis in feinste Ornamente hinein exakt sowohl in Sargam- als auch in westlicher Notation dokumentiert. So kann sowohl beim Hören mitgelesen als auch jedes Detail zum Mit- oder Nachspielen erschlossen werden.

Auf CD 2 erklingen die Ragas Gujari Todi (49' 46'') und Mishra Pilu (19' 01''). Diese beiden Ragas werden kurz in ihren Besonderheiten vorgestellt, aber die Aufnahmen sind nicht ausnotiert sondern lediglich anhand einer Zeitliste in ihrer Struktur analysiert. Sie sind eher zur Förderung des Hörverstehens als zum genauen Nachspielen gedacht.

"Hariprasad Chaurasia and the Art of Improvisation", Hardcover, 200 S., 2 Audio-CDs, durchgehend farbig, mit zahlreichen Bildern von Sujata Bajaj, Best.Nr. AC 136.37, 39,90 Euro (zzgl. Versandkosten)

Eine Übersicht zu Lehrmaterial

 


2. tha-ki-ta-tha - Tabla Dokumentation
- Neu im Sortiment -


tha-ki-ta-tha - das ist nicht nur eine Sequenz von Rhythmussilben aus der nordindischen Tabla-Sprache, sondern mit dem Zusatz "Talking Drums" auch der Titel eines kurzen, äußerst liebevoll gemachten, charmanten und unterhaltsamen Dokumentarfilms zur Tabla. In gut 25 Minuten begleitet der Film die Tabla von ihrem Bau bis zum Konzertauftritt, von ihrer Geschichte über Grundlagen der Komposition bis zur Aufnahme im Tonstudio. Gedreht wurde überwiegend in der westindischen Metropole Pune. Zu Wort kommen der Tablabauer Dryaneshar Jagtap, Tablavirtuose Vijay Ghate, Musikwissenschaftler Umesh Moghe, Pakhawajlehrer Tukaram N. Bhumkar, Tablalehrer Anup Joshi, Toningenieur Nitin Joshi und Kathak-Tanzlehrerin Shama Bhate. In Konzertausschnitten und Unterrichtsszenen wird die Tabla in all ihren Facetten gezeigt - als Begleitung für klassische Instrumentalmusik, Gesang und Tanz ebenso wie als Soloinstrument. Abgerundet wird der Film mit atmosphärisch dichten Bildern indischen Straßenlebens.

Der Reiz von tha-ki-ta-tha ist der frische, unverbrauchte Blick der Filmemacher. Sie schauen mit Neugier und Begeisterung hinter die Kulissen und vermitteln so spannende Einblicke in Tablabau, Unterricht, Konzertpraxis und geschichtliche und mythologische Hintergründe. Dabei stehen nicht nur die bekannten Stars im Mittelpunkt, sondern auch Menschen, die in zweiter oder dritter Reihe ihr Leben der Tabla widmen. Für den Laien gibt das eine fesselnde Einführung, die ein tieferes Verständnis für die Faszination der Tabla eröffnet und die sicherlich mehrmals anzuschauen lohnt. Aber auch versiertere Freunde indischer Musik werden in diesem Film sicherlich interessante neue Aspekte entdecken.

Produziert wurde tha-ki-ta-tha 2010 ursprünglich als Studienarbeit von einer Studentengruppe der Hochschule der Medien Stuttgart, bestehend aus Sebastian Dille, Philipp Holl, Daniel Keller, Jochen Keller und Fabian Reck. Inzwischen wurde der Film aber u.a. auch schon auf dem renommierten Bollywood-Filmfestival in Stuttgart gezeigt. Der Ton ist unsynchronisiert in Marathi und Englisch. Deutsche oder englische Untertitel sorgen für Verständlichkeit. Ein knapp dreiminütigen Trailer, der wunderbar die Atmosphäre des Films wiedergibt, steht auf youtube

"tha - ki - ta - tha: talking drums", DVD, Laufzeit 25 Min., 12,- Euro (zzgl. Versandkosten)

Weitere DVD Dokumentationen zur indische Musik

 


3. Sonderangebote zu Weihnachten
- Firmen-Info -


Weihnachten ist die Zeit für Geschenke. Wir möchten es Ihnen mit einigen Sonderangeboten leichter machen, passende Gaben für Ihre Lieben zu finden! Für alle Bestellungen, die vom 1.12. bis 24.12. bei uns eingehen, gewähren wir folgende Sonderkonditionen:

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Die Sonderangebote gelten nur für aktuell verfügbare Artikel und nur so lange der Vorrat reicht. Alle Preisangaben zzgl. Versandkosten.



4. Jagjit Singh, König des Ghazal-Pop
- Nachruf von Yogendra -


Der Sänger Jagjit Singh galt vielen wegen seiner samtigen Stimme, seines unkonventionellen, innovativen Stils, seiner enormen Popularität und seiner beeindruckenden kommerziellen Erfolge seit den 1980er Jahren als ungekrönter "König des Ghazal". Im September erlitt er einen schweren Schlaganfall und lag seitdem in einer Klinik in Mumbai im Koma. Am 10. Oktober ist er Alter von 70 Jahren gestorben.

Jagjit Singh wurde 1941 in Rajasthan als Sohn eines Beamten in einer Sikh-Familie geboren. Er studierte zunächst in Haryana Geschichte, bevor er 1961 nach Mumbai ging, um Karriere als Sänger zu machen. Der Durchbruch gelang ihm 1976 mit seinem ersten Album "The Unforgettables". Die Platte war eine Gemeinschaftsproduktion mit seiner Frau Chitra, einer bengalischen Sängerin, mit der zusammen er später noch auf zahlreichen weiteren Alben zu hören war. Ein Duett von Mann und Frau war seinerzeit eine sensationelle Neuerung und machte die beiden rasch zu bekannten Stars. Ihre unkonventionellen, raffiniert mit Emotionen spielenden und musikalisch leicht zugänglichen Interpretationen transformierten Ghazal von einer elitären semi-klassischen Kunstform zu mitsingbarer gehobener Pop-Musik für jedermann. Mit der großen Beliebtheit seines Stils bestritt Jagjit Singh im Lauf seiner langen Karriere weltweite Tourneen, veröffentlichte über 80 Alben und wirkte in zahlreichen erfolgreichen Bollywood-Filmsoundtracks mit. 2003 erhielt er für seine kulturellen Verdienste den Padma Bhushan, Indiens dritthöchsten zivilen Orden.

Die Form des Ghazal stammt wahrscheinlich aus dem Arabischen. Wesentlich ist, dass sich die ersten beiden Halbverse aufeinander reimen und jeder zweite folgende Halbvers ebenfalls mit dem gleichen Reim endet. Inhaltlich geht es meist um Liebesschmerz und, trotz dieses Schmerzes, um die Schönheit der Liebe. Die großen persischen Dichter Rumi, Saadi und Hafiz entwickelten das Ghazal seit dem 13. Jahrhundert weiter zu einem hochkomplexen System von Form- und Sinnbeziehungen. Der ursprünglich erotische Gehalt der Texte wurde dabei mit mystisch-religiösen Symbolik gefüllt, so dass weltliche Erotik und mystische Gottesliebe nahtlos ineinander flossen. Im deutschen Sprachraum genoss die Form unter dem Namen Ghasel in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Zuge der damaligen Orientbegeisterung vorübergehend eine gewisse Popularität.

In Südasien wurde das Ghazal vor allem in Urdu gepflegt und es entwickelte sich eine Tradition kunstvoll gesungenen Vortrags, die sich eng an den Regeln von Raga und Tala der klassischen nordindischen Musik orientierte. Als subtil verfeinerte höfische Kunst verlangte Vortrag und Genuss von Ghazals sowohl hohe literarische Bildung als auch ein tiefes musikalisches Verständnis. Begum Akhtar (1914 - 1974) war eine herausragende Vertreterin dieser Tradition im 20. Jahrhundert. Nach Unabhängigkeit und Teilung des Subkontinents blühte Ghazal vor allem in Pakistan. Federführend waren dabei u.a. Mehdi Hassan (* 1927) und Ghulam Ali (* 1940). Ihre Ghazal-Interpretationen blieben der klassischen Raga-Tradition verbunden und erschlossen sich vor allem einem gebildeteren Publikum.

Jagjit Singhs besondere Leistung bestand darin, die etablierten Ghazal-Konventionen hinter sich zu lassen und das Genre quasi neu zu erfinden. Als Komponist entschlackte er die musikalische Komplexität und legte den Schwerpunkt ganz auf die inhaltliche Verständlichkeit. Bei der Textauswahl bevorzugte er gezielt Ghazals, deren Gehalt sich auch dem einfachen Mann auf der Straße erschließt. Im Duett mit seiner Frau Chitra machte er den herzzerreißenden Schmerz und die bitter-süße Sehnsucht unerfüllter Liebe für jedermann unmittelbar mitfühlbar. Und durch die Einführung einfacher Harmonien und der Gitarre als zusätzlichem Begleitinstrument (neben Tabla und Harmonium) unterstrich er den Gefühlsgehalt seiner Ghazals noch auf einer weiteren Ebene. Aber auch modernste Technik machte er seinem Anliegen nutzbar - er war z.B. in den 1980er Jahren einer der ersten indischen Musiker überhaupt, der mit Mehrspuraufnahmen arbeitete. Mit seiner samtig-schmeichelnden Stimme, seinen klaren Texten und seinen emotionalen Arrangements erreichte Jagjit Singh bis dahin für Ghazals ungekannte Verkaufszahlen und setzte so neue Standards, an denen heute kein erfolgsorientierter Ghazalsänger mehr vorbeikommt. Für seine Fans ist er deshalb der unbestrittene König des Ghazal. Liebhabern indischer Klassik wird er aber wohl eher als Erfinder des Ghazal-Pop in Erinnerung bleiben.

Bei India Instruments ist folgender Titel u.a. mit Jagjit Singh erhältlich: Jai Jai Shrinathji - Gujarati Devotional, Best.Nr. NRCD 0069, 15,- Euro (zzgl. Versandkosten), nähere Infos.

Traditionelle Ghazals gibt es hier

Ausführliche Info: Wikipedia

 


5. Vertriebspartner (3) - Merlyn
- Firmen-Info -


Merlyn im Örtchen Erpe-Mere, auf halbem Weg zwischen Brüssel und Gent, ist derzeit unser wichtigster Partner in Belgien. Unter dem Motto "Sounds for Healing" bietet Merlyn seit 2001 Instrumente aus aller Welt für Therapie, Heilung, Rituale, Entspannung, Meditation, Wellness, Musikpädagogik oder einfach Freude am Klang. Öffnungszeiten sind Montags von 14:00 - 18:00 Uhr, Dienstags von 10:00 - 12:30 und 14:00 - 18:00 Uhr und Samstags von 10:00 - 12:30 und 14:00 - 17:00 Uhr - zu diesen Zeiten sind spontane Besuche willkommen. An anderen Tagen ist der Laden nur nach Vereinbarung zugänglich. Selbstverständlich kann auch per Versand bestellt werden.

Das Sortiment von Merlyn umfasst Saiteninstrumente, Blasinstrumente, Trommeln und Percussion, Klangschalen, Gongs und andere Metallinstrumente, therapeutische Stimmgabeln und Medien. Ausführlichere Infos und ein Video mit Demonstration einiger Instrumente im Laden gibt es hier. India Instruments beliefert Merlyn regelmäßig mit Harmoniums, Shrutiboxen, Tanpuras, Elektro-Tanpuras und Bansuris. Viele dieser Instrumente sind fest im Sortiment und können vor Ort ausprobiert und gekauft werden. Die Zusammenarbeit besteht seit 2008.

Patrik Niels, Inhaber von Merlyn, ist selbst als Musiker in Konzerten aktiv. Zusammen mit Myriam Cayet betreibt er am Sitz von Merlyn aber auch ein Zentrum für Selbstentfaltung. In diesem Rahmen organisiert er Workshops und Konzerte mit heilenden Klängen, gibt selber Klang-Sessions und führt einen Laden mit Esoterik-, Meditations- und Wellnessartikeln.


6. Mail aus Delhi (2) - Qawwali-Kulturschock
- von Martin Lamß, Leipzig / Delhi -


Oh Mann, jetzt hat mir aber wirklich Hardcore-Indien zugesetzt! Ich komme gerade zurück vom Hazrat Nizamuddin Dargah. Das ist der Grabesschrein von einem berühmten muslimischen Heiligen. Nach ihm ist auch ein Stadtteil von Delhi benannt. Manche sagen, dort wurde der Qawwali erfunden, die geistliche Musik der islamischen Mystiker Südasiens. Man kann sie jeden Abend am Schrein hören.

Aber der kurze Weg von der Straße bis dorthin ist ziemlich lang. Man muss sich von der breiten Magistrale aus durch eine schlammige Gasse kämpfen. Bettler mit und ohne Krücken, mit und ohne Lepra laufen, humpeln, kriechen einem entgegen. Die Gasse wird immer enger. Nicht nur von rechts und links, auch von oben. Denn ab ungefähr hundert Meter vorm Schrein ist die Gasse überdacht, und die Überdachung senkt sich einem scheinbar immer weiter entgegen. Dafür schillert es dort ganz bunt. Die Händler verkaufen alles, was der Pilger dringend braucht: Andachtsbildchen mit und ohne Blinklichter, DVDs, tote und halbtote Hühner. Dazu auch Essen, das nicht erst geschlachtet werden muss. Zum Beispiel frisch frittierte Teigtaschen in allen Variationen, nach denen die Gasse auch kräftig duftet. Den Händlern war klar, dass ich von all dem nichts wollte, dass ich aber eins musste: nämlich meine Schuhe ausziehen, um das Heiligtum betreten zu dürfen. Und das haben sie mir dann auch alle lautstark nahegelegt: Ich sollte doch bitteschön gegen eine kleine Gebühr meine Latschen bei ihnen abstellen. Zwar habe ich es zu diesem Zeitpunkt noch nicht gewusst, aber geahnt: Zwischen mir und dem Schrein lagen noch 100 Meter Essensreste, Abwasserpfützen und frische Spucke mit Kautabak. Am liebsten wäre ich drüber geflogen. Da ziehe ich doch nicht noch meine Schuhe aus! Aber irgendwann musste ich es tun.

Und das war dann bei Selim, einem Teeverkäufer. Zu dessen Häuschen kommt man, wenn man kurz vorm Haupteingang zum Schrein falsch abbiegt. Und zwar nach rechts. Kann nur allen raten, so falsch abzubiegen. Denn an Selims Teebude herrschen relative Ruhe und Sauberkeit. Außerdem liegt sie an einem nur spärlich besuchten Seiteneingang. Und wenn man den passiert hat, steht man direkt am Sufi-Grab im Taj-Mahal-Stil. Davor sitzen die Mystiker-Musiker im Viereck auf dem weißen Marmorboden. Ein Vorsänger und zwei Intrumentalisten mit Harmonium und Dholak, einer Quertrommel. Mit teilweise erotischen Versen erklärt der Vorsänger seine Liebe. Nein, nicht zu einer Frau, sondern zu Allah! Die zwanzig Männer, die um ihn herumhocken, tun das auch, indem sie dem Vorsänger mit denselben Worten antworten. Dazu klatschen ihre Hände im Takt. Das alles klingt sehr tanzbar.

Aber tanzen wäre wohl unangebracht gewesen. Außerdem war's dafür definitiv zu heiß, zu schwül. Allah sei Dank gibt es dagegen am Nizamuddin-Schrein aber noch einen original Pankhawalla. Das ist ein weißbärtiger Mann im grünen Dress, dessen Job es ist, mit einem Fächer herumzuwedeln. Das Ding ähnelt allerdings mehr einer Fahne an einer Stange. Und man muss aufpassen, dass man damit nicht eine verbraten bekommt, so flach rauscht das Ding über den Köpfen der Besucher hin und her.

Ich glaube, ich war so ziemlich der einzige Westler am Ort und wurde deswegen freundlich-wohlwollend angestarrt. Aber gut, ich habe ja auch gestarrt. Besonders interessant fand ich die Leute, die aussahen, als wären sie mit ihrem weißen Gewand, Käppi und langem Bart direkt aus dem mittelalterlichen Mekka gekommen. Dann packten sie aber ein Smartphone aus. Nach zwanzig Minuten habe ich leider die Hitze und die vielen Fliegen nicht mehr ausgehalten, gegen die auch der Pankhawalla nicht viel ausrichten konnte.

Also raus, zurück zu Selims Chaibude. Er bat mich, mich noch zu ihm zu setzen. Dann stellte er mir seine alte, kleine Mama vor und seinen vierjährigen Sohn. Der betete extra für mich mit verrotzter Kinderstimme Gedichte auf Englisch und Hindi herunter. Das war wirklich superniedlich. Besonders weil er mit seinen großen, braunen Kulleraugen total dem Kindchenschema entsprach. Allerdings glaube ich, sie hatten den Kleinen ein bisschen für Touristen dressiert. Dann gab es natürlich die üblichen Fragen des Inders an den Ausländer: Name, woher kommst Du, was machst Du hier und so weiter. "Ah Journalist! Dann schreib mal bei Dir zu Hause in die Zeitung, dass die hier den engen Zugang zum Schrein ausbauen sollen. Ist schließlich der berühmteste der Welt. Und dann der ganze Dreck! Das geht ja wohl nicht!" Jetzt habe ich es geschrieben. Und danke Selim, dass Du Dein Viertel mit ähnlichen Augen siehst wie ich. Ich hatte nämlich schon ein bisschen Angst, dass ich Nizamuddin mit dem Dünkel des kulturgeschockten Westlers betrachte.

Martin Lamß studiert Journalistik in Leipzig. Im Sommer 2011 recherchierte er für seine Diplomarbeit über deutsche Auslandskorrespondenten in Neu Delhi und schickte uns gelegentliche Reiseimpressionen.

 


7. Konzerte
- Szene-Info -


Der Winter ist Hochsaison für Konzerte in Indien - viele indische Musiker sind jetzt dort unterwegs, so dass für die nächsten Monate nur relativ wenige Termine auf unserem Konzertkalender stehen. Herausragend sind dabei sicher die Touren des jungen Sängers Pushkar Lele, der im Stil des legendären Kumar Gandharva das Publikum verzaubert, und von Anoushka Shankar, die zusammen mit Meistern des Flamenco ihr neues Album präsentiert. Ausführlichere Infos und weitere Termine für 2012 wie immer auf unserem Konzertkalender.

30.11. ANTWERP, PUSHKAR LELE - Vocals
1.12. UTRECHT, PUSHKAR LELE - Vocal
2.12. AMSTERDAM, PUSHKAR LELE - Vocal
2.12. HAMBURG, RASALILA - Song and Dance of Love
4.12. DEN HAAG, PUSHKAR LELE - Vocal
6.12. MAASMECHELEN, PUSHKAR LELE - Vocal
6.12. BERLIN, ANOUSHKA SHANKAR - Sitar
7.12. HAMBURG, ANOUSHKA SHANKAR - Sitar
8.12. DORTMUND, ANOUSHKA SHANKAR - Sitar
9.12. BRUSSELS, ANOUSHKA SHANKAR - Sitar
10.12. POTSDAM, SEBASTIAN DREYER - Sitar
10.12. BADEN, JESUS CHARITAM - Nateshwara Dance Group

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