Rundbrief Juli / Dezember 2020

Übersicht

1. Feine Hamoniums für unterwegs & überall - Pakrashi Premium Mini & Sarang Kirtan Classic
2. Corona in Indien – Chaos, Flexibilität & Resilienz
3. Kirtan - Singen kann jeder!
4. #MeToo – Sexuelle Belästigung durch klassisch indische Musiker
5. Kurz notiert: Pandit Jasraj verstorben / World Sitar Festival / Wind of Change
6. Wie geht eigentlich (indische) Musik? (24) –  Was ist Improvisation?
7. Workshops & Konzerte

 


1. Feine Hamoniums für unterwegs & überall - Pakrashi Premium Mini & Sarang Kirtan Classic
- Neu im Sortiment -


Harmonium Pakrashi premium mini- Harmonium Pakrashi Premium Mini 535,16 €

Geringes Gewicht und sparsame Abmessungen machen das Pakrashi Premium Mini zum perfekten Begleiter für Mantras und Kirtans unterwegs und zu Hause - leicht, kompakt, robust, angenehm in der Handhabung und doch ein vollwertiges Harmonium mit einem warmen, runden Klang. Das Pakrashi Premium Mini bietet besonders feine Qualität, ist dabei aber deutlich günstiger als das vergleichbare Paloma Companion. Die 27 Töne von f bis g reichen über 2 1/4 Oktaven und decken damit den Tonumfang der gebräuchlichen Mantras und Kirtans ab. Hochwertige Doppelzungen sorgen für gute Ansprache und einen warmen, vollen Klang. Die seidenmatten Teakholzoberflächen schmeicheln Auge und Hand gleichermaßen. Die präzise Verarbeitung sorgt für gute Geläufigkeit der Tastatur und langfristige Dichtheit der Luftkammern. Allerdings hat das Pakrashi Premium Mini weniger Luftvolumen als normal große Harmoniums. Deswegen muss man beim Akkordspiel oder für gleichmäßig hohe Lautstärke etwas schneller und intensiver mit dem Außenbalg nachpumpen.

Fotos, Klangbeispiel & nähere Infos zum Pakrashi Premium Mini.

- Harmonium Sarang Kirtan Classic 613,14 €
Harmonium Sarang Kirtan Classic
Das Sarang Kirtan Classic ist eine gute Wahl für besonders qualitätsbewusste Einsteiger*innen und Kirtansänger*innen. Sein Aufbau gleicht im wesentlichen unseren sehr beliebten Kirtan Classic Harmoniums von Tirupati und dem 23 B von Bina, bietet aber eine hochwertigere Qualität in Material und Verarbeitung. Dadurch ist es leichter zu handhaben, langlebiger, klanglich ausgewogener und sieht auch besser aus. Die Bauart mit umklappbarem Balg, Koffergehäuse, Doppelzungen und einfachen Stabtasten ist dank Krishna Das oder Jai Uttal ein Klassiker in der westlichen Kirtanszene. Die Einfachheit macht es ebenso preiswert wie robust. Doppelzungen, Oktavkopplung und vier Borduntöne sorgen für vollen, brillanten Klang. Und dank des umklappbaren Balgs lässt es sich so kompakt zusammenlegen, dass man es gut einhändig tragen kann.

Fotos, Klangbeispiel & nähere Infos zum Sarang Kirtan Classic.




2. Corona in Indien – Chaos, Flexibilität & Resilienz
- Lagebericht von Yogendra -


Covidnews

Die offiziellen Zahlen der bestätigten monatlichen Corona-Infektionen und Corona-Todesfälle in Indien waren nach Ende des totalen Lockdowns vom 25.3. - 31.5. zunächst kontinuierlich weiter gestiegen. Nach Rekordwerten im September sind sie aber wieder deutlich gesunken. Bei Redaktionsschluss am 23.11. gab es offiziell insgesamt 9,2 Millionen Infektionen und 134.000 Tote bei einer Einwohnerzahl von 1,33 Milliarden Menschen. Nach den widersprüchlichen Erfahrungen mit dem radikalen landesweiten Lockdown zu Beginn der Pandemie – die wirtschaftlichen und humanitären Folgen waren teils katastrophal - hält sich die Zentralregierung inzwischen auffallend zurück. Am Zug sind jetzt die Regierungen der Bundesstaaten und lokale Behörden. So ist ein wilder Flickenteppich regionaler und lokaler Grenzschließungen, Reisebeschränkungen, Quarantänebestimmungen, Abstands-, Masken- und Arbeitsregelungen entstanden, der das öffentliche Leben erstickt und die Wirtschaft ausbremst. Zwar sterben anteilig weniger Infizierte als in westlichen Ländern, aber das dürfte vor allem am niedrigen Altersdurchschnitt der Bevölkerung liegen – Indien ist ein junges Land. Zudem gelten die offiziellen Zahlen als wenig zuverlässig. So grassiert die Angst vor Ansteckung weiter, vor allem unter älteren Menschen mit Vorerkrankungen, denn das Gesundheitssystem ist so hoffnungslos überlastet, dass mitunter keinerlei medizinische Versorgung möglich ist.

TrainWährend Industrie, Handel, Gewerbe und Kultur leiden und vielerorts Lebensmittelspenden verteilt werden, die NGOs, Auslandsinder und reiche Privatleute finanzieren, scheint die landwirtschaftliche Produktion aber noch recht stabil zu laufen, so dass vorerst zumindest keine Hungersnöte drohen. Insgesamt ertragen die Inder*innen die Entwicklung bisher mit einem gewissen Fatalismus, der lange kultiviert worden ist. Schließlich haben hunderte Millionen erst in den letzten ein bis zwei Jahrzehnten einen gewissen Wohlstand erworben. Davor lebte die Masse der Menschen in sehr einfachen Verhältnissen. Es gibt bis heute keinerlei staatliche Versorgungsleistungen und man war von jeher gezwungen, flexibel mit Mangel und Chaos umzugehen und sich über familiäre und informelle Netzwerke abzusichern.

Purbayan ChatterjeeAuch das Gros der klassischen Musiker*innen in Indien ist ein bescheidenes Leben gewohnt - Musiker*in wird man oder frau nicht um des Geldes willen. Von wenigen Stars abgesehen konnten sich Musiker*innen schon vor Corona meist nur mühsam mit kleinen Konzerten, Unterricht, kommerziellen Produktionen und Nebenjobs über Wasser halten. Die so entwickelte Flexibilität kommt ihnen in der Pandemie zugute. Unterricht findet jetzt online statt, und vormals vielbeschäftigte Solisten geben gerne Einzelsessions. Zahllose Performances werden als Aufzeichnung oder Livestream online gestellt - teils einfach mit Handy im Wohnzimmer gefilmt, teils mit professioneller Technik. Facebook ist zu einem beliebten Medium dafür geworden, besonders für jüngere Künstler*innen, die sonst kaum Auftrittsmöglichkeiten bekommen. Geld lässt sich so zwar nicht verdienen, aber es gibt die Chance auf öffentliche Wahrnehmung. Bekanntere Künstler*innen bemühen sich um Einnahmen mit bezahlten Streams oder Sponsoringmodellen. Einige spielen in der gesponserten Konzertreihe von IT Gigant HCL, die jetzt online stattfindet unter dem Namen Baithak, Hauskonzert. Dank verbesserter Echtzeitübertragung können seit kurzem auch mehrere Musiker*innen, die an verschiedenen Orten sitzen, online live zusammenspielen - und so kreative Ideen realisieren, die im normalen Konzertbetrieb kaum eine Chance hätten. Ein Beispiel für die bunte Online-Fülle ist der YouTube-Kanal von Sitarist Purbayan Chatterjee mit über 40 veröffentlichten Videos seit März - das enorm breite Spektrum umfasst Hintergrundgespräche, Raga- und Crossover- Performances und professionell produzierte Musikvideos.

Schwierig bleibt die Situation für die Instrumentenbauer in Indien. Überall kommt es zu Störungen und Behinderungen – Rohmaterialien und Bauteile von Zulieferern fehlen, lokale Verordnungen schränken die Betriebszeiten ein, Mitarbeiter müssen in Quarantäne, bleiben aus Angst vor Ansteckung zuhause oder können wegen Ausgangssperren oder Ausfall des öffentlichen Verkehrs nicht in die Werkstätten kommen. Fertige Instrumente können nicht exportiert werden, weil kein Verpackungsmaterial zu beschaffen ist oder keine Transportkapazitäten verfügbar sind. Unser Lieferant Haribhau Vishwanath (Paloma Harmoniums) in Mumbai musste z.B. von März bis Oktober die Produktion komplett einstellen, weil Fachkräfte für entscheidene Arbeitsschritte in der stark arbeitsteiligen Herstellungsweise monatelang bei ihren Familien auf dem Land geblieben waren. Bei Amaanshi (Sarang Harmoniums) in Delhi musste kürzlich das ganze Team wegen positiver Coronatests in Quarantäne. Um überhaupt liefern zu können, werden mitunter Qualitätsstandards vernachlässigt. Und da unsere unabhängigen Qualitätskontrolleure vor Ort nur eingeschränkt arbeiten können, rutschen vermehrt Instrumente mit Mängeln zu uns nach Deutschland durch und blockieren mit den nötigen Nachbesserungen unsere Werkstatt. So ergeben sich Dominoeffekte von Verzögerungen, Engpässen und Qualitätsproblemen, die unsere Lieferanten in Indien ebenso vor große Herausforderungen stellen wie unser Team in Berlin. Die gute Nachricht inmitten all dieser Schwierigkeiten: Momentan sieht es so aus, als ob alle unsere indischen Partner flexibel und widerstandsfähig genug sind, um die Krisenzeit zu überstehen!

 


3. Kirtan - Jeder kann singen!
- Erfahrungsbericht von Nadine Webering -


Warst du schon mal beim Kirtan? Kirtan ist ein Teil des Bhakti-Yoga, des Yogas der Hingabe. Kirtan ist Singen von Mantras in Call and Response-Form. Das heißt, eine Person (der Wallah) singt eine Zeile des Mantras vor und die Zuhörer singen sie nach. Dabei gibt es keine Kluft - Wallah und Zuhörer bilden eine Einheit. Ein Kirtan kann ganz ruhig sein, nur von einem Harmonium begleitet, oder auch ganz laut und mit vielen wunderbaren Instrumenten. Manchmal ist er ganz meditativ, manchmal endet er in ekstatischem Tanz. Beim Kirtan verbinden wir uns mit der Energie der Menschen um uns herum und unserer eigenen. Wir nehmen die Energie der Mantras auf, die wir singen, wobei diese meist einer hinduistischen Gottheit gewidmet sind. So praktizieren wir Hingabe an das Göttliche. Auch an das Göttliche in uns. Für mich ist Kirtan aber noch viel mehr. Durch Kirtan habe ich wieder entdeckt, wie wundervoll es ist zu singen.  

"Ich kann nicht singen!" - wie oft ich diesen Satz gesagt habe in meinem Leben kann ich gar nicht zählen. Ich war Jahrzehnte fest davon überzeugt, dass es so ist. Aber woher kam eigentlich dieser Glaubenssatz? In meiner Schulzeit habe ich im Chor gesungen. Zu Beginn haben wir noch alle gemeinsam gesungen. Aber dann sollten wir vorsingen, um herauszufinden, welche Stimmlage wir haben. Mit feuchten Händen und bebender Stimme habe ich vorgesungen. Und anstatt meine Stimmlage gesagt zu bekommen, hat mich die Lehrerin mit den Worten: "Du gehts besser wieder nach hinten" bedacht. Das war das letzte mal, dass ich beim Chor dabei war. Und auch das letzte mal, dass ich vor Menschen gesungen habe. Ich habe mir nicht einmal mehr erlaubt, mit mir allein zu singen. Kein schallender Gesang im Auto oder unter der Dusche. "Ich kann nicht singen!" war wie ein Mantra, dass ich immer wieder aufgesagt habe, bis es sich wie die Wahrheit in meine Seele eingebrannt hat.

In der Yogalehrer-Ausbildung wurde ich dann gerettet. Jedes Ausbildungswochenende haben wir zusammen Bhakti-Yoga praktiziert und gesungen. Erst war es mir auch hier noch unmöglich, mitzumachen. Aus Scham, dass es auffällt, habe ich immer nur die Lippen bewegt. Irgendwann haben sich die Mantras dann aber den Weg aus meinem Kopf in mein Herz gebahnt und ich konnte nicht mehr anders, als sie zu singen. Zu Beginn nur ganz leise, aber mit der Zeit konnte ich die Energie, die das Chanten der Mantras erzeugte, nicht mehr zurückhalten und es brach aus mir heraus. Ich konnte beim Singen so viele Emotionen wahrnehmen. Freude, Traurigkeit, Wut, Ärger, Liebe - alles mischte sich zu einem riesigen Potpourri an Gefühlen zusammen und brach unter der Oberfläche hervor. Anfangs hat mich das völlig überfordert, aber mittlerweile genieße ich es, in die Emotionen einzutauchen, sie anzusehen und zuzulassen. Alle sind da, alle dürfen sein. Alle sind ich!

Heute bin ich nahezu süchtig danach, in einer Gruppe mit Gleichgesinnten zu singen. Ich nutze jede Gelegenheit, einen Kirtan zu besuchen. Meine Stimme ist sicher nicht die einer Opernsängerin. Wahrscheinlich treffe ich noch nicht einmal jeden Ton. Aber das ist auch egal. Denn singen ist Verbindung mit Emotionen. Singen ist Heilung. Wenn es dir geht wie mir, wenn du dir bis jetzt auch immer verbietest, in der Öffentlichkeit zu singen, möchte ich dich einladen, es einfach mal zu versuchen. Schau, wo der nächste Kirtan in deiner Nähe stattfindet und geh einfach hin. Sitze einfach nur, mach die Augen zu und lass die Energie wirken. Und dann geh nochmal...und nochmal. Ich verspreche dir, es funktioniert. Der wundervoll geschützte Raum bei einem Kirtan, wo nur Menschen sind, die dir Gutes wollen, wird es dir irgendwann ermöglichen, deine Stimme mit anderen zu teilen und so eins zu sein, mit allen die sind.

Nadine Webering war mehrere Jahre als Neurologin in Krankenhäusern tätig. Heute verbindet sie als selbständige Expertin mit besonderem Augenmerk auf Selbstwirksamkeit die moderne Schulmedizin mit den Traditionen von Ayurveda und Yoga. 2020 erschien ihr Buch Migräne ganzheitlich behandeln mit Ayurveda. www.drnadinewebering.com



4. #MeToo – Sexuelle Belästigung durch klassisch indische Musiker
- Hintergrundbericht von Yogendra -


In der Medien- und Kulturbranche schlägt seit 2017 eine Diskussion um sexuelle Belästigung und Nötigung hohe Wellen. Zunächst erklärten einzelne US-Schauspielerinnen, dass einflussreiche Produzenten und Regisseure sie zu Sex genötigt hätten. Nach Bekanntwerden dieser Vorwürfe, meldeten sich immer mehr Menschen mit ähnlichen Erfahrungsberichten öffentlich zu Wort – daher die Überschrift Me Too, englisch für „Ich auch“. Dabei wurde deutlich, dass sexuelle Übergriffe, die von Belästigung und Demütigung bis zu Nötigung und Vergewaltigung reichen, in der Kultur- und Medienwelt wohl weit verbreiteter und alltäglicher sind, als bis dahin bekannt war. Die Konsequenzen für die Beschuldigten waren teilweise gravierend: Filmproduzent Harvey Weinstein wurde wegen Vergewaltigung zu 23 Jahren Gefängnis verurteilt; Opernstar Plácido Domingo musste als Chef der Los Angeles Opera zurücktreten; der zweifache Oscar-Gewinner Kevin Spacey wurde in Hollywood so sehr zur Unperson, dass er sogar aus einem schon fertig gedrehten Film herausgeschnitten wurde. Als Nährboden des Übels erwies sich die große, kaum kontrollierte Machtfülle meist älterer männlicher Täter in einem wenig von Außen reglementierten Umfeld, in dem ein hohes Maß an Idealismus ebenso selbstverständlich ist wie eine große Bereitschaft zu emotionaler Öffnung.

Seit 2018 sorgt die weltweite MeToo-Debatte auch in der klassischen indischen Musikszene für Aufregung. Den Anfang machte die karnatische Musiktradition Südindiens. Diskriminierungsvorwürfe standen dort schon seit längerem im Raum: Männliche Begleitmusiker sollen sich geweigert haben, für weibliche Solisten zu spielen; Musikerinnen klagten über seltenere und schlechter bezahlte Auftrittsmöglichkeiten als männliche Künstler. Im Herbst 2018 warfen dann junge Frauen mehreren männlichen Stars der karnatischen Musik (u.a. dem Sänger OS Thyagarajan und dem Vichtra-Vina-Spieler Ravikiran) sexuelle Belästigungen vor. In den meisten Fällen waren die Frauen Schülerinnen der Beschuldigten und sollen am Rande besonderer Unterrichtssituationen unter vier Augen sexuell angesprochen und teilweise begrapscht worden sein. Und nachdem sie die anzüglichen Avancen abgewiesen hätten, seien sie von ihren Lehrern im weiteren Unterricht benachteiligt und eingeschüchtert worden. Einige Beschuldigte bestritten die Vorwürfe und stellten sie als Missverständnisse dar, andere schwiegen dazu. Eine offizielle Untersuchung oder gerichtliche Klärung der Vorwürfe fand bisher nicht statt. In einer ersten Reaktion auf die Vorgänge unterzeichneten mehr als 200 karnatische Künstler*innen eine Erklärung, in der sie sexuelle Belästigung verurteilten und Betroffene ermutigten, an die Öffentlichkeit zu gehen. Die renommierte Music Academy in Chennai strich kurz darauf sieben Beschuldigte aus dem jährlichen Festivalprogramm und richtete 2019 ein Meldeverfahren für sexuelle Belästigungen ein. Andere Veranstalter zogen dagegen keine Konsequenzen. Im Sommer 2020 entzündete sich noch einmal eine Kontroverse um die Frage, ob Beschuldigte in den Genuss von Leistungen der Global Carnatic Musicians Association kommen dürften, einer neu gegründeten Gesellschaft zur finanziellen Unterstützung karnatischer Musiker*innen.

Im September 2020 hat die MeToo-Debatte mit Vorwürfen gegen die renommierten Gundecha-Brüder an ihrem Dhrupad Sansthan in Bhopal auch die klassische nordindische Musiktradition erreicht. Dhrupad Sansthan ist eine Art Musik-Ashram, in dem zuletzt etwa zwei bis drei dutzend erwachsene Lernende aus aller Welt zusammenlebten und bei Umakant, Ramakant und Akhilesh Gundecha mit Stimme und Instrumenten den Dhrupad-Stil studierten. Erlebnisberichte zu sexuellen Belästigungen durch Akhilesh Gundecha und den 2019 verstorbenen Ramakant wurden zunächst auf Facebook und WhatsApp weltweit ausgetauscht und dann Akhilesh von einer Gruppe Studierender vor Ort persönlich vorgelegt. Kurz darauf verkündete Umakant Gundecha in seiner Funktion als Dhrupad Sansthan Vorsitzender Akhileshs Rücktritt und die Einrichtung eines internen Beschwerdekomitees zur Untersuchung der Anschuldigungen, gemäß dem 2013 verabschiedeten indischen Gesetz zum Schutz von Frauen vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz. Die erste Besetzung des Komitees lehnten die Studierenden wegen mangelnder Unabhängigkeit ab. Außerdem kritisierte die Gruppe, dass die Vorwürfe gegen Ramakant nicht untersucht würden, und dass der Dhrupad Sansthan, obwohl offiziell eine NGO, ohne klar definierte Gremien und Verantwortlichkeiten wie eine Familienfirma geführt werde. Daraufhin wurde das Beschwerdekomitee neu besetzt und erweitert und besteht jetzt aus einer Juristin, einem Menschenrechtler, einer Kinderrechtsaktivistin, sowie einer Studentin und einem Studenten des Dhrupad Sansthan. Die hitzig geführten Auseinandersetzungen haben die Atmosphäre im Dhrupad Sansthan schwer belastet und die weltweite Gemeinde der Gundecha-Schüler*innen tief erschüttert und verunsichert. Es bleibt abzuwarten, ob das künstlerische und pädagogische Lebenswerk der Gundechas dadurch bleibend beschädigt wird, oder ob durch konsequente Aufklärung und Aufarbeitung der Geschehnisse die Errungenschaften bewahrt und von der nächsten Generation weitergetragen werden können. Kurz nach Bekanntwerden der Vorwürfe am Dhrupad Sansthan veröffentlichten 90 klassisch nordindische Musiker*innen eine gemeinsame Erklärung, in der sie sexuellen Missbrauch und die "angstgetriebene Kultur des Schweigens in der Hindustani-Musikwelt" verurteilen und Unterstützung für Opfer und sichere Räume für Frauen fordern.

Die traditionelle indische Form persönlicher Weitergabe von Wissen und Fertigkeiten von Meister*innen (Guru) an Schüler*innen (Shishya) ist noch immer das Rückgrat der klassischen indischen Musikstile. Ihr prozesshafter Charakter mit seiner Verbindung aus Traditionsbewusstsein einerseits und Spontaneität, Kreativität und Individualität andererseits lässt sich bis heute nicht zufriedenstellend verschriftlichen oder durch audiovisuelle Medien vermitteln. Die Guru-Shishya-Beziehung gibt den Gurus aber auch viel Macht und macht die Shishyas abhängig und verletztlich.  Daraus kann eine toxische Atmosphäre entstehen, in der Gurus ethische Grenzen überschreiten und Shishyas Verletzungen stumm in Kauf nehmen. MeToo gibt den Lernenden erstmals eine eigene Stimme, verringert dadurch das gefährliche Machtgefälle, und kann so die nötige Vertrauensbasis für die Guru-Shishya-Beziehung stärken. Wenn aber Gurus als potenzielle Täter unter Generalverdacht gestellt werden und Shishyas sich nur als Opfer sehen statt auch als eigenverantwortlich Handelnde, dann kann MeToo die empfindliche Vertrauensbasis zerrütten. Auch Gurus sind keine allmächtigen Götter sondern verletzliche Menschen, deren Leben durch soziale Ächtung aufgrund öffentlicher Anschuldigungen zerstört werden kann. Gerade in einer emotional so aufgeladenen Debatte wie MeToo dürfte es hilfreich sein, einen klaren Kopf zu bewahren, genau hinzuschauen und vorschnelle Urteile zu vermeiden. Nur so wird echter Dialog möglich, können Interessen ausbalanciert und tragfähige Konfliktlösungen gefunden werden. Denn letztlich brauchen Gurus und Shishyas einander, wenn die klassischen indischen Musiktraditionen lebendig bleiben sollen. Und manchmal kann zwischen Gurus und Shishyas sogar, allen Konventionen zum Trotz, eine tiefe und dauerhafte Liebe erblühen - das zeigen in der indischen Musikszene eindrucksvoll die berühmten Ehepaare Shubhendra Rao & Saskia Rao-de Haas und Ali Akbar Khan & Mary Johnson Khan.

 


5. Kurz notiert: Pandit Jasraj verstorben / World Sitar Festival / Wind of Change
- Szene Info -


Pandit Jasraj verstorben – Klassiker mit Charisma

Pandit JasrajIm Alter von 90 Jahren ist am 17.8. der große Sänger Pandit Jasraj verstorben. Jasraj stammte aus einer Musikerfamilie und lernte nach dem frühen Tod seines Vater weiter von seinen älteren Brüdern. Schon als Teenager schlug er eine professionelle Laufbahn als klassisch-indischer Sänger im Stil der Mewati-Gharana ein. Die Raga-Orthodoxie kritisierte ihn anfangs dafür, dass er Elemente anderer Gharanas in seinen Gesang integrierte. Aber im Laufe der Jahre wurde er mit seinem leicht rauhen Timbre und seinem spirituellen Habitus zu einem der weltweit bekanntesten Stars der klassischen indischen Gesangsszene. Besonders verdient gemacht hat sich Jasraj um Haveli Sangeet, eine nordindische Form des Tempelgesangs im Rahmen der mystischen Krishna-Verehrung, die er durch seine Performances womöglich vor dem Aussterben bewahrt hat. Innovativ zeigte sich Jasraj mit der Erfindung von Jasrangi, einem Duett von Männer- und Frauenstimme, bei dem beide zwar die selbe Tonleiter benutzen, aber sich auf verschiedene Grundtöne im Abstand einer Quarte beziehen. Durch modale Verschiebung ergeben sich so zwei verschiedene Ragas, die miteinander verschränkt erklingen. Neben seiner künstlerischen Arbeit hat Jasraj Zeit seines Lebens bis kurz vor seinem Tod mit großer Leidenschaft unterrichtet. Zu seinen bekanntesten Schüler*innen zählen der Khyal-Sänger Sanjeev Abhyankar und die Violinistin Kala Ramnath. Für sein Lebenswerk wurde er mit dem Padma Vibhushan (2010) und der Sangeet Natak Akademi Fellowship (2010) ausgezeichnet, zwei der höchst möglichen Ehrungen für indische Künstler.

Pandit Jasraj: Klassische Ragas.
Pandit Jasraj: Devotional.
Jasrangi Jugalbandi.
CDs von Pandit Jasraj.



World Sitar Festival – Diversität mit Herzblut und Perspektive

Unter dem Titel World Sitar Festival wurde am 15.8. ein 6-stündiges Video ins Netz gestellt: 33 Sitarist*innen aus 11 Ländern und verschiedensten Traditionslinien geben Kurzinterpretationen von 27 Ragas – wohl live bei sich daheim aufgenommen und später zusammengeschnitten. Beeindruckend welche Diversität zu sehen und zu hören ist: Menschen aus Südasien, Europa, Nordamerika und Ostasien; Männer und Frauen; Ältere und Jüngere; Bekanntere und Unbekanntere. Eine spannende Erweiterung bekommt die Diversität durch eine historische Perspektive: Zwischen den Performances werden kommerzielle Schelllackplatten mit Aufnahmen großer Sitarvirtuosen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vorgestellt. Den roten Faden gibt eine durchgehende Moderation auf Hindi – eine ungeschickte Sprachwahl für ein Festival, das die Welt im Titel führt und im Medium Internet auch die Welt ansprechen könnte. Fazit: Nicht alles ist glanzvoll - aber alles mit Herzblut gemacht. Für Neulinge von daher vielleicht etwas spröde - aber für echte Sitar-Freaks und Hardcore-Rasikas ein Muss.
Zum World Sitar Festival.



Wind of Change – Deutsch-indischer Musikgruß zum Wiedervereinigungs-Jubiläum

Der 30. Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung sollte am 3. Oktober aufwändig gefeiert werden. Aber die  Corona-Pandemie machte den großen Plänen einen Strich durch die Rechnung. Online-Events als Ersatz fand Walter Lindner - Musiker, Jurist, Diplomat und aktuell deutscher Botschafter in Indien – allerdings wenig inspirierend. Stattdessen produzierte er ein Musikvideo... Wind of Change von den Scorpions, DEN ikonischen Song der Wendezeit, stellte Lindner in einem deutsch-indischen Arrangement in einem Überraschungscoup am 2. Oktober online - als offizielle Veröffentlichung der deutschen Botschaft in Indien. Den Leadgesang übernahm der indische Sänger Chezin, den Refrain eine gemischte indische Gesangsgruppe, die Zwischenspiele auf Bansuri, Sitar, Sarod und Tabla indische Instrumentalisten – und alle westlichen Instrumente (bis auf das Schlagzeug) spielte Lindner höchstpersönlich. Ein viraler Hit ist ihm damit zwar nicht gelungen – aber ein origineller Versuch, den deutschen Nationalfeiertag emotional zu würdigen und gleichzeitig seinem Amtssitz Indien seine Reverenz zu erweisen.
An Indo-German celebration of 30 years of German Unification - Wind of Change.

 


6. Wie geht eigentlich (indische) Musik? (24) – Was ist Improvisation?
- Zitat von Ueli Bernays


In der Reihe „Wie geht eigentlich (indische) Musik?“ bringen wir seit Frühjahr 2016 assoziative, prägnante Anregungen von Künstlern und Intellektuellen.


Ueli BernaysWas ist Improvisation? Alles ist erlaubt! Aber alles Bekannte, alles Verbrauchte soll weg aus den Sinnen, damit Neues erklingen kann. Dies jedenfalls ist der Anspruch. Das ästhetische Postulat sorgt auch zuverlässig für Spannung und Passion. Aber es wird nie ganz erfüllt. Vielmehr erweist sich das Improvisieren als dialektisches Spiel zwischen Alt und Neu. Das musikalische Abenteuer wird nicht nur von Geistesgegenwart und Schlagfertigkeit angeleitet, sondern auch durch Vorwissen und Virtuosität.

Ueli Bernays (*1964) studierte Geschichte, Russisch und Philosophie und arbeitete als freier Journalist, als Russisch- und Geschichtslehrer sowie als Jazzbassist. 1999 wurde er Redakteur im Feuilleton der Neuen Zürcher Zeitung und 2000 erschien sein erster Roman. Zitat aus: Keith Jarrett: Das Werden hat ein Ende, Neue Zürcher Zeitung, 11.11.2020



 


7. Workshops & Konzerte
- Szene-Info -


Wegen der Corona Pandemie konnten seit Mitte März 2020 so gut wie keine Konzerte oder Workshops stattfinden. Zwar waren von Juni bis Oktober einzelne Veranstaltungen unter Auflagen möglich, aber inzwischen gelten in Europa überwiegend wieder strenge Restriktionen mit Verbot aller Konzerte und der meisten Workshops. Und momentan weiß niemand, wann wieder Veranstaltungen möglich sein werden. Deswegen stellen wir derzeit keine Veranstaltungsdaten in unsere Online-Kalender – der Aufwand für Recherche und laufende Aktualisierungen ist einfach zu groß. Wir bitten dafür um Verständnis.

Stattdessen veröffentlichen wir auf unseren Online-Kalendern für Konzerte und Workshops die Linkliste, aus der wir regelmäßig bei Erstellung eines neuen Newsletters Konzert- und Workshoptermine herausziehen. So kannst du selber schauen, was Veranstalter in deiner Region anbieten und was deine Lieblingskünstler so alles machen. Viel Spaß beim Browsen!

Unsere Linkliste ist stetig im Fluss. Falls Links fehlen, die du wichtig findest, oder falls dir Links mit Fehlern auffallen, dann lass uns das bitte wissen! Wir sind dankbar für Feedback!

 

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