Geschichte und Bau

Bau

Beim Harmonium werden die Töne von frei schwingenden Metallplättchen erzeugt, den sog. Zungen - das gleiche Prinzip der Tonerzeugung wie beim Akkordeon. Für jeden Ton gibt es mindestens eine Zunge. Über allen Zungen liegen kleine Luftlöcher, die von oben mit Lederdichtungen ventilartig verschlossen sind. Mit dem Herunterdrücken einer Taste auf der Tastatur wird das Ventil über der entsprechenden Zunge geöffnet, die innen gestaute Luft strömt aus, bläst die Zunge an und es entsteht ein Ton. Wenn man die Taste loslässt, wird sie von einer Feder wieder in die ursprüngliche Position zurückgedrückt - das Ventil wird geschlossen, der Luftstrom unterbunden und der Ton verstummt.

Die Luft zum Anblasen der Zungen kommt aus einem Balg, der bei den meisten Harmoniummodellen von außen unsichtbar im Boden des Instrumentes eingebaut ist. Sichtbar ist dagegen der äußere Balg an der Rückwand des Harmoniums, mit dem durch Pumpbewegungen der innere Balg aufgeblasen und der nötige Luftdruck aufgebaut wird. Auch wenn nur wenig Luft im inneren Balg vorhanden ist, sorgen eingebaute Federn dafür, dass sie mit einigermaßen gleichmäßigem Druck zum Spielen abgegeben wird.

Die meisten Harmoniums haben zwei oder drei getrennte Zungensätze, die innen in gegeneinander abgeschlossenen Luftkammern sitzen. Meistens liegen die korrespondierenden Töne der Zungensätze im Oktavabstand zueinander. Man unterscheidet dabei zwischen drei Lagen: der Bassoktave in der Tiefe, der männlichen Oktave in der Mitte und der weiblichen Oktave in der Höhe. Durch Einstellung der Registerzüge an der Vorderseite des Harmoniums lässt sich regeln, in welche Luftkammer die Luft aus dem ineren Balg strömen kann. So lässt sich wahlweise nur eine oder eine beliebige Kombination der vorhandenen Zungensätze anspielen.

Äußerer Rahmen, innere Luftkammern und Tastenmechanik werden aus Holz gearbeitet. Dabei spielt sowohl die Qualität des Holzes als auch die Präzision der Verarbeitung eine große Rolle. Schlechte Holzqualität oder unsaubere Verarbeitung können dazu führen, dass sich Teile verklemmen, reißen oder sich verziehen. So entstehen Funktionsstörungen durch nicht mehr anspielbare oder dauernd mitklingende Töne oeder Luftverlust. Die Bälge werden aus Pappen als Trägermaterial, Papier als Oberflächenbeschichtung und Leder für die Verbindung der Balgfaltungen gefertigt. Leder kommt auch bei den Ventildichtungen zum Einsatz. Metall wird für Schrauben, Tastenfeder, Balgfedern und Zungen verwendet. Die Tastenoberfläche wird mit Kunststoffbelägen versehen. Die sichtbaren Holzoberflächen werden mit Schelllack mit zugesetzten Pigmenten poliert - entweder hochglänzend oder seidenmatt geschliffen oder gewachst.

Geschichte

Das Harmonium wurde Mitte des 19. Jahrhunderts in Europa erfunden. Ursprünglich stand das Instrument auf Füßen, wurde auf einem Stuhl sitzend gespielt und die Luft wurde noch nicht mit einem Handbalg an der Rückseite zugeführt, sondern mit Fußpedalen. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde das europäische Harmonium zunächst als Import in britischen Kolonialkreisen und der bengalischen Elite in Kalkutta heimisch und fand dann den Weg ins Marathi-Theater.

In den 1880er Jahren begann der einheimische indische Harmoniumbau. Etwa zur gleichen Zeit wurden die Standvorrichtung und die Fußpedalen durch einen Handbalg hinten am Korpus ersetzt, so dass sich das Harmonium wie alle anderen indischen Instrumente auch auf dem Boden sitzend spielen ließ. Dadurch konnte es auch als Begleitinstrument für Gesang in den klassischen indischen Musiktraditionen, in der religiöse Musik und in der Volksmusik genutzt werden. Die schwingenden Zungen für die Tongebung wurden allerdings noch aus Deutschland oder Frankreich eingeführt. Erst ab den 1940er Jahren wurden in Palitana in indischen Bundesstaat Gujarat auch hochwertige indische Zungen hergestellt, so dass kein Import mehr nötig war.

Obwohl sich das Harmonium in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in ganz Nordindien dank seiner Flexibilität, Zuverlässigkeit und einfachen Handhabung als Begleitinstrument in fast allen Gesangsstilen etabliert hatte, wurde es von klassischen Puristen lange als unpassend für die Feinheiten indischer Ragas abgelehnt. Von 1940 bis 1970 wurde die Verwendung des Harmoniums beim staatlichen Rundfunksender All India Radio deshalb sogar verboten. Sein Siegeszug ließ sich davon aber nicht aufhalten.

Heute ist das Harmonium ein selbstverständlicher, unverzichtbarer Teil vieler indischer Vokalensembles. Hauptzentren des Harmoniumbaus in Indien sind Kalkutta, Mumbai und Delhi. Auch im Westen wird es zunehmend populärer, vor allem durch den Erfolg von westlichen Mantrasängern und die Verbreitung von Yoga.