India Instruments » Netzwerk » Hintergrundtsexte » Die vollkommene Stimme - Zum Tod von Bhimsen Joshi

Die vollkommene Stimme - Zum Tod von Bhimsen Joshi

Nachruf von Vibhaker Baxi, Chef des Plattenlabels Navras
(Februar 2011)

Die vollkommene Stimme der Hindustani-Musik, nein, der klassischen indischen Musik überhaupt, ist der Welt verloren gegangen. Pandit Bhimsen Joshi-ji ist am Morgen des 24. Januar im Alter von 88 Jahren in Pune verstorben. Bhimsenji mit den Besonderheiten seiner Kirana Gharana zu beschreiben, wäre ein vergeblicher Versuch, den Mann und seine Magie zu erfassen. Seine Kunst transzendierte die Eitelkeiten der Gharana-Definitionen und wurde zu einem einzigartig eigenen Stil. Für eine große Zahl von Liebhabern des Khyal-Gesangs wurden seine Stimme und seine Art zu singen zum Maßstab, an dem sie ihr musikalisches Empfindungsvermögen ausrichteten.

Mein eigenes Erwachen für die klassische indische Musik geschah durch seinen Gesang. Ich erinnere mich, dass ich schon als Kind berührt war von seinem Lied "Ketaki Ghulab Juhiâ", gesungen zusammen mit Manna Dey in dem Film Basant Bahar. Meine Wiedereinführung in die klassische Musikszene in Großbritannien nach meiner Rückkehr 1985 lief durch eine Reihe seiner Konzerte in London. Dort entstand die Verbindung mit Jay Visva Deva vom Sama Arts Netzwerk, die schließlich 1992 zur Gründung des Plattenlabels Navras führte. Die völlige Hingabe meines Vaters an die Musik von Ustad Abdul Karim Khan Saheb (dem Guru von Bhimsenjis Guru) muss auch einen unbewussten Einfluss auf mich gehabt haben. Wie auch immer ich es betrachte, die Aura von Bhimsen Joshi spendete meinem Aufgehen in der Hindustani-Musik ihre Magie.

Ich betrauere heute den Verlust dieses legendären Meisters, eines Löwen unter den Sängern, und doch das seltene Beispiel eines Meisters ohne Ego, ohne Wutanfälle, nur mit einer Fülle stiller Würde, einem Mann mit einfachen Bedürfnissen und ohne Ansprüche. Er war im Frieden mit seinen Leistungen und seinem Werk, insofern er keine Anerkennung oder Auszeichnung suchte. Selbst während seiner Konzerte wartete er am Ende eines Stückes nicht bis der Applaus verebbt war, sondern ging gleich weiter in den Beginn des nächsten Stückes - so wenig beschäftigt war er mit seinem eigenen Ego. Als einmal an einem geschäftigen Werktag zu einem seiner Londoner Konzerte nur knapp 100 Zuhörer erschienen, antwortete er dem um eine Entschuldigung bemühten Veranstalter es sei ihm egal ob da 10, 100 oder 1000 Leute säßen - er würde so oder so sein Bestes geben und sei nicht beeinflusst von der Größe seines Publikums.

Ich hatte das Privileg, vor einigen Jahren beim Sawai Gandharva Festival in Pune zu sein, als er nach einer Pause von ein oder zwei Jahren wegen seiner Hirntumoroperation zum ersten Mal wieder öffentlich sang. Seine Darbietung war sehr unsicher - seine Stimme war schwach und zitterte etwas -, aber das Publikum war einfach froh, ihn singen zu sehen, und hatte Tränen in den Augen. Als ich mich nach dem Festival von ihm verabscheiden wollte, fragte er mich: "Bhaxi-Saheb, war mein Gesang okay?" - eine Legende fragte einen einfachen Zuhörer wie mich - was für ein unglaublich bescheidener Mann! Und von diesem Zustand aus gewann er seine übliche Virtuosität und seinen Enthusiasmus zurück und gab noch einige brillante Konzerte, darunter das "Tapasya"-Konzert im Oktober 2001 in Mumbai, das von Navras auf CD und DVD veröffentlicht worden ist.

Pandit Bhimsen Joshi wurde am 4. Februar 1922 in Gadag geboren (im heutigen Bundesstaat Karnataka), weit entfernt von den Zentren der Hindustani-Musik und ohne eine Familientradition des Musizierens. Die Legende erzählt, wie er als Teenager sein Heim verließ und sich auf eine musikalische Suche begab, Indien bereiste und von verschiedenen Meistern in bedeutenden Musikzentren wie Gwalior, Lucknow und Rampur lernte. Bekannt wurde er als Schüler des bedeutenden Sängers Sawai Gandharva, und fortan galt er als Vertreter der Kirana Gharana, die von Sawai Gandharvas Guru Ustad Abdul Karim Khan berühmt gemacht worden war.

Von seinem 19. Lebensjahr an bis etwa 2007 hat Bhimsen Joshi öffentlich konzertiert, und zwar sowohl innerhalb wie außerhalb Indiens. Es sind Maßstäbe seines Status in der indischen Musikwelt, dass er so hohe nationale Auszeichnungen erhalten hat wie den Sangeet Natak Academy Award, den Padma Shree und Padma Bhushan, den Padma Vibhushan und den Bharat Ratna (Juwel Indiens). Diese letzte und höchste Auszeichnung erhielt er so spät in seinem Leben, dass daraus fast eine Travestie wurde. Ich hoffe, die zuständigen Stellen werden sich daran erinnern und in Zukunft verdiente Künstler nicht mehr so lange übergehen.

Er hat sich allseitigen Respekt verdient für seine Musikerqualitäten und für die enorme Kraft und Majestät seiner Darbietungen. Für viele war er der Inbegriff der Erhabenheit der Hindustani-Ragas, obwohl er auch als Sänger von Bhajans und anderen leicht-klassischen Genres wie Thumri geschätzt wurde. Seine Stimme, sein Stil und seine Präsenz sind sofort erkennbar, seine Darbietungen sind essenzielle Erfahrungen indischer Musik. Der Navras-Katalog beinhaltet 13 CD-Titel (20 CDs) und eine DVD von Panditji, darunter einige selten aufgeführte Ragas aus seinem Repertoire. Wir sind priviligiert durch seine Präsenz in unserem Katalog und in unseren musikalischen Leben. Seine Musik, ohne Frage eine bedeutende Kraft in den Annalen der klassischen indischen Musik, wird für immer in den Köpfen und Herzen aller Musikliebhaber bleiben.