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Klassischer indischer Tanz - Jenseits von Exotismus

Symposiumsbericht von Rajyashree Ramesh & Eva Isolde Balzer
(September 2013)

Bharatanatyam, das klassische indische Tanztheater, findet man heute fast weltweit. Unsere Erfahrung mit dem Tanz in Berlin und Deutschland zeigt allerdings, dass indischer Tanz im Allgemeinen
marginalisiert wird. Als "kulturspezifisch", "ethnisch" oder "exotisch" findet er in der klassischen und zeitgenössischen deutschen Tanzszene kaum Beachtung. Grundlagen für diese problematische Haltung in Europa bzw. Deutschland lassen sich bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts finden. Das starke Interesse an Tanz aus anderen Kulturen war eng mit der Vorstellung von einer mit alten Kulturen verbundenen Primitivität, Naturnähe (siehe z.B. Laban) oder Religiösität verknüpft. Man interessierte sich für das Fremde und hob diesen Aspekt des Tanzes hervor. Diese Grundstrukturen im Denken über indischen Tanz in Deutschland haben sich bis heute kaum verändert. All zu oft wird der Tanz nur mit religiösen Geschichten verbunden oder es werden indische Tänzer_innen bloß als farbenfrohe Kulisse eingeladen. Mit derart exotisierendem Blick wird die künstlerische Form ausgeblendet.

Bei Vertretern des zeitgenössischen europäischen Tanzes herrscht dagegen der Eindruck, der indische Tanz halte an alten und daher starren traditionellen Mustern fest, ginge auf Veränderungen nicht ein und ignoriere aktuelle Themen. In westlich klassischen Tanzkreisen wiederum herrscht die Meinung, der indische Tanz sei lediglich eine Folkloreform. Die Auseinandersetzung mit klassischem indischem Tanz bleibt so meist oberflächlich, ethnisch, eurozentrisch oder gar orientalistisch.

Um dem etwas entgegenzusetzen, fand am 22. und 24.6. in Berlin ein ambitioniertes Doppel-Symposium mit Praktizierenden, Akademikern und Publikum statt. Mit Anregungen und dem akademischen Beistand der renommierten Tanzhistorikerin und Soziologin Avanthi Meduri und der großzügigen Unterstützung der Werkstatt der Kulturen nahm man das Bharatanatyam-Arangetram (erste öffentliche Aufführung) von Eva Isolde Balzer unter dem Titel "Berlin Margam" zum Anlass, das Symposium "Art and Embodiment – looking beyond exoticism" am 22.6. zu konzipieren. Mit Bezug auf die Aufführung diskutierten die indischen Tanzhistoriker_innen Ashish Mohan Khokar und Avanthi Meduri und die praktizierenden Gelehrten Phillip Zarilli vom Theater und Martin Puttke vom Ballet mit den Tanzschaffenden des Abends und dem Publikum über die Historizität des indischen Tanzes und seine Popularität in Deutschland. Dabei kam das transdisziplinäre und transkulturelle Potenzial des Tanzes ebenso zur Sprache wie die Frage, ob die als tradiert geltenden Muster des indischen Tanzes konform mit zeitgenössischen tanzpraktischen und tanztheoretischen Erkenntnissen sein können. Besonderes Augenmerk erhielten die 5 T.s - Tradition, Travel, Translation, Transmission und Transformation -, nach Avanthi Meduri die wichtigsten Faktoren für die globale Relevanz des indischen Tanzes. Näheres hier.

Am 24.6. schloss sich das Nachfolgesymposium unter dem Titel "Indian dance in a global age" an, eine Zusammenarbeit zwischen dem Internationalen Institut Verflechtungen von Theaterkulturen der Freien Universität Berlin und der Indischen Botschaft. Dem Keynote-Vortrag von Gabriele Brandstetter (Institut für Tanz- und Theaterwissenschaft der FU) folgten sieben Referate, zusätzlich zu den o.g. Referenten auch von Prof. Shivaprakash (Theaterwissenschaftler), Sandra Chatterjee (Tänzerin) und Anja Weber (Tanzmedizinerin). Das Themenspektrum umfasste die Entwicklung des indischen Tanzes in den letzten 90 Jahren, die Arbeit heutiger Tänzer_innen mit indischem Tanz weltweit, Neuverkörperung durch innovative Choreographien westlicher Regisseure, Rezeptivität und Praxis des indischen Tanzes in Deutschland seit den 1970er Jahren, Relevanz von Form, Struktur und Grammatik im Tanz überhaupt und tanzmedizinische Erkenntnisse mit Emotionen. Junge Choreographinnen aus Deutschland mit indischer Tanzausbildung zeigten Auszüge aus ihren Arbeiten.

Durch die Performance "Berlin Margam" und die nachfolgenden Diskussionen wurde klar, wie die Geschichte des indischen Tanzes in Deutschland weiter und neu geschrieben wird. Denn der indische Tanz in Deutschland ist in einem nicht-kulturspezifischen Milieu eingebettet und wird auf immer neuen, zum größten Teil nicht-indischen Körpern eingraviert. Wenn man sich mit dem indischen Tanz tatsächlich künstlerisch auseinandersetzt, stellt man fest, dass Struktur und Form, oder Grammatik und Inhalt, die die Tänzer_innen verkörpern, zugleich kulturspezifisch und transkulturell, lokal und global sind - und vor allem jenseits von Exotismus.

Rajyashree Ramesh ist Tänzerin, Lehrmeisterin und Bewegungswissenschaftlerin. Sie vermittelt seit über 30 Jahren indischen Tanz in Deutschland und Europa und hat mehrere europäische Tänzerinnen ausgebildet, die das indische Tanzvokabular erfolgreich in ihren jeweiligen Berufen einbringen. Eva Isolde Balzer ist Schülerin, Schauspielerin und Performerin und lernt seit 2006 den klassischen indischen Tanz bei Rajyashree Ramesh.