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Jagjit Singh, König des Ghazal-Pop

Nachruf von Yogendra
(November 2011)

Der Sänger Jagjit Singh galt vielen wegen seiner samtigen Stimme, seines unkonventionellen, innovativen Stils, seiner enormen Popularität und seiner beeindruckenden kommerziellen Erfolge seit den 1980er Jahren als ungekrönter "König des Ghazal". Im September erlitt er einen schweren Schlaganfall und lag seitdem in einer Klinik in Mumbai im Koma. Am 10. Oktober ist er Alter von 70 Jahren gestorben.

Jagjit Singh wurde 1941 in Rajasthan als Sohn eines Beamten in einer Sikh-Familie geboren. Er studierte zunächst in Haryana Geschichte, bevor er 1961 nach Mumbai ging, um Karriere als Sänger zu machen. Der Durchbruch gelang ihm 1976 mit seinem ersten Album "The Unforgettables". Die Platte war eine Gemeinschaftsproduktion mit seiner Frau Chitra, einer bengalischen Sängerin, mit der zusammen er später noch auf zahlreichen weiteren Alben zu hören war. Ein Duett von Mann und Frau war seinerzeit eine sensationelle Neuerung und machte die beiden rasch zu bekannten Stars. Ihre unkonventionellen, raffiniert mit Emotionen spielenden und musikalisch leicht zugänglichen Interpretationen transformierten Ghazal von einer elitären semi-klassischen Kunstform zu mitsingbarer gehobener Pop-Musik für jedermann. Mit der großen Beliebtheit seines Stils bestritt Jagjit Singh im Lauf seiner langen Karriere weltweite Tourneen, veröffentlichte über 80 Alben und wirkte in zahlreichen erfolgreichen Bollywood-Filmsoundtracks mit. 2003 erhielt er für seine kulturellen Verdienste den Padma Bhushan, Indiens dritthöchsten zivilen Orden.

Die Form des Ghazal stammt wahrscheinlich aus dem Arabischen. Wesentlich ist, dass sich die ersten beiden Halbverse aufeinander reimen und jeder zweite folgende Halbvers ebenfalls mit dem gleichen Reim endet. Inhaltlich geht es meist um Liebesschmerz und, trotz dieses Schmerzes, um die Schönheit der Liebe. Die großen persischen Dichter Rumi, Saadi und Hafiz entwickelten das Ghazal seit dem 13. Jahrhundert weiter zu einem hochkomplexen System von Form- und Sinnbeziehungen. Der ursprünglich erotische Gehalt der Texte wurde dabei mit mystisch-religiösen Symbolik gefüllt, so dass weltliche Erotik und mystische Gottesliebe nahtlos ineinander flossen. Im deutschen Sprachraum genoss die Form unter dem Namen Ghasel in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Zuge der damaligen Orientbegeisterung vorübergehend eine gewisse Popularität.

In Südasien wurde das Ghazal vor allem in Urdu gepflegt und es entwickelte sich eine Tradition kunstvoll gesungenen Vortrags, die sich eng an den Regeln von Raga und Tala der klassischen nordindischen Musik orientierte. Als subtil verfeinerte höfische Kunst verlangte Vortrag und Genuss von Ghazals sowohl hohe literarische Bildung als auch ein tiefes musikalisches Verständnis. Begum Akhtar (1914 - 1974) war eine herausragende Vertreterin dieser Tradition im 20. Jahrhundert. Nach Unabhängigkeit und Teilung des Subkontinents blühte Ghazal vor allem in Pakistan. Federführend waren dabei u.a. Mehdi Hassan (* 1927) und Ghulam Ali (* 1940). Ihre Ghazal-Interpretationen blieben der klassischen Raga-Tradition verbunden und erschlossen sich vor allem einem gebildeteren Publikum.

Jagjit Singhs besondere Leistung bestand darin, die etablierten Ghazal-Konventionen hinter sich zu lassen und das Genre quasi neu zu erfinden. Als Komponist entschlackte er die musikalische Komplexität und legte den Schwerpunkt ganz auf die inhaltliche Verständlichkeit. Bei der Textauswahl bevorzugte er gezielt Ghazals, deren Gehalt sich auch dem einfachen Mann auf der Straße erschließt. Im Duett mit seiner Frau Chitra machte er den herzzerreißenden Schmerz und die bitter-süße Sehnsucht unerfüllter Liebe für jedermann unmittelbar mitfühlbar. Und durch die Einführung einfacher Harmonien und der Gitarre als zusätzlichem Begleitinstrument (neben Tabla und Harmonium) unterstrich er den Gefühlsgehalt seiner Ghazals noch auf einer weiteren Ebene. Aber auch modernste Technik machte er seinem Anliegen nutzbar - er war z.B. in den 1980er Jahren einer der ersten indischen Musiker überhaupt, der mit Mehrspuraufnahmen arbeitete. Mit seiner samtig-schmeichelnden Stimme, seinen klaren Texten und seinen emotionalen Arrangements erreichte Jagjit Singh bis dahin für Ghazals ungekannte Verkaufszahlen und setzte so neue Standards, an denen heute kein erfolgsorientierter Ghazalsänger mehr vorbeikommt. Für seine Fans ist er deshalb der unbestrittene König des Ghazal. Liebhabern indischer Klassik wird er aber wohl eher als Erfinder des Ghazal-Pop in Erinnerung bleiben.