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Rahim Fahimuddin Dagar - Ein Vermächtnis

Nachruf von Amelia Cuni
(September 2011)

Rahim Fahimuddin Dagar, Haupt der Dagarbani (Stil des Dhrupad-Gesangs), ist am 27.7. in Neu Delhi im Alter von 84 Jahren nach längerer Krankheit gestorben. Nur kurz davor hatte bereits sein enger Freund, der Rudra Vina-Meister Asad Ali Khan, führender Vertreter einer einzigartigen instrumentalen Tradition im Dhrupad, diese Welt verlassen. Mit ihrem Tod scheint ein großes Kapitel in der Geschicht der klassischen nordindischen Musik zu Ende zu gehen. Sie gehörten beide einer Zeit an, als das Leben noch einen langsameren Rhythmus hatte und die Menschen z.B. bereit waren, großen Künstlern auf sog. Musik-Konferenzen die ganze Nacht hindurch bis in die Morgenstunden zu lauschen. Beide waren Zeugen enormer gesellschaftlicher Veränderungen: Während ihre Väter noch Hofmusiker waren, mussten sie sich an das Leben freischaffender Künstler im unabhängigen Indien anpassen. Trotz dieser enormen Umwälzungen von Werten und Lebensstilen ermöglichten sie es der jüngeren Generation, eine Musik zu erfahren und zu erlernen, die einer anderen Ära angehörte. Durch ihre kompromisslose Hingabe an die Kunst bewahrten sie einen Schatz, den es jetzt in seiner alten Form in dieser Welt nicht mehr gibt.

Ich begegnete R. Fahimuddin Dagar zum ersten Mal 1982 in Kalkutta, wo er an der Rabindra Bharati Universität lehrte und kleinen Schülergruppen Privatunterricht bei sich zu Hause gab. Jeden Tag saß er mindestens zwei Stunden mit ihnen zusammen und übte wieder und wieder Alap und verschiedene Tonkombinationen. Dabei legte er besonderen Wert auf die Qualität des Akar (Gesang auf dem Vokal A), die Reinheit der Intonation und die rhythmische Genauigkeit, und das mit einer Intensität, die neu für mich war. Ich fand diese Methode sofort faszinierend und bereichend. Während der fünf Jahre, die ich dann bei ihm studierte, lernte ich die Grundlagen des Dhrupad und seiner Philosophie durch direkte Erfahrung im Guru-Shishya-Parampara, dem traditionellen Überlieferungssystem von Lehrer zu Schüler. R. Fahimuddin Dagar schien dabei keiner streng strukturierten Methode zu folgen, sondern unterrichtete mich, als ob ich in der Lage wäre, die nächsten 30 Jahre als Schülerin mit ihm zu verbringen.

Nach all den Jahren spüre ich heute, wie R. Fahimuddin Dagars Lehren und praktische Demonstrationen weiter in mir arbeiten. Wieder und wieder bemerke ich, wie mich die Prinzipien beschäftigen, die er mir mit all ihrer Eigendynamik vermittelt hat - möglicherweise, weil er nicht versucht hat, sie an moderne Zeiten und Bedürfnisse anzupassen. Seine Kompromisslosigkeit und Gewissenhaftigkeit halfen ihm zwar nicht, sich den sozialen Umwälzungen während seiner Lebensspanne zu stellen, aber seine Treue zur Tradition hat diese innewohnende Qualität von Zeitlosigkeit, diesen ursprünglichen Funken bewahrt, der Dhrupad zu einer der höchsten Ausdrucksformen klassischer indischer Kultur macht. Je länger ich übe, desto klarer entfaltet sich für mich kontinuierlich die Verbindung von Dhrupad mit dem Yoga des Klanges (Nada Yoga). Dank R. Fahimuddin Dagars Verständnis der Prinzipien des Nada Yoga und seinem unerschütterlichen Glauben an ihre Bedeutung für den Dhrupad bin ich schrittweise in der Lage, sie durch die Erinnerung an sein Beispiel zu absorbieren, selbst auf dieser späteren Stufe.

Sein unsektiererisches Verständnis von religiösem Glauben hat es mir ermöglicht, den Islam aus einer sehr privilegierten Perspektive zu erfahren: Der eines muslimischen Musikers, der seinen Gesang im gleichen Atemzug sowohl Allah als auch Shiva darbrachte und das Konzept des Nadabrahman (die Schöpfung ist Klang) durch seine Hingabe an Musik als einen spirituellen Weg ehrte. Das Bewusstsein der feinstofflichen Wirkungen des Klanges und ihrer metaphysischen Entsprechungen machten R. Fahimuddin Dagars Dhrupad-Gesang zu Kunst in ihrer edelsten Bedeutung - Nahrung für die Seele, Erhebung für den Geist, einen Weg zum höheren Selbst. In seinen Lehren wird der Gesang zu einem Mittel, sich auf den Kosmos einzustimmen, anstatt lediglich Gefühle auszudrücken oder seine Kunstfertigkeit zur Schau zu stellen. Der Fokus liegt dann nicht mehr auf dem Individuum und seinen Talenten und Fähigkeiten, sondern auf dem gleichzeitig kunst- und hingebungsvollen Prozess der Manifestierung des Ragas selbst.

Ich habe R. Fahimuddin Dagars Gesang am brillantesten und wirksamsten während seines Unterrichts erlebt, wenn er nach einer musikalischen Ãœbersetzung für einen philosophischen oder poetischen Gedanken suchte. Auf einzigartige und bemerkenswerte Weise demonstrierte er manchmal die Ausdehnung menschlicher Wahrnehmungsfähigkeit, indem er Töne "heraufbeschwor", ohne sie tatsächlich zu singen, so dass sie allein durch die Kraft seiner Konzentration im Geist seiner Schüler hörbar wurden - genau wie ein Zauberkünstler dank seines tiefen Verständnises der Psyche sein Publikum dazu bringen kann, Vorgänge zu sehen, die gar nicht wirklich stattfinden. Diese seine besondere Fähigkeit schreibe ich dem alten, kraftvollen Wissen zu, als dessen demütigen Bewahrer sich R. Fahimuddin Dagar gesehen hat.


(Diese Textfassung wurde aus dem Englischen übersetzt und stark gekürzt von Yogendra. Der vollständige Text findet sich auf www.ameliacuni.de)