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Ravi-Shankar-Doku "Raga" auf DVD

Rezension von Yogendra
(September 2011)

Ende der 1960er Jahre war der Sitarmeister und kreative Genius Ravi Shankar auf dem Höhepunkt seines Ruhms angelangt. Die Zusammenarbeit mit George Harrison von den Beatles und sein Auftritt beim legendären Woodstock-Festival hatten ihn zu einem weltbekannten Popstar gemacht. Dabei sah sich Ravi Shankar selbst als ernsthaften klassischen Musiker, der mit der Flower-Power-Philosophie und den Drogentripps der damaligen Hippie-Generation gar nichts anfangen konnte. Um in der Öffentlichkeit seine tiefe Verwurzelung in traditioneller indischer Spiritualität und in der klassischen Raga-Tradition deutlicher und diese zugleich bekannter zu machen, brachte er 1968 unter dem Titel My Music, My Life  seine erste Autobiografie heraus. 1971 folgte die ebenfalls stark autobiografische Film-Dokumentation "Raga - A Film Journey into the Soulf of India". Dieses einzigartige Zeitdokument ist jetzt bei India Instruments als DVD erhältlich.

"Raga" wurde 1967 und 1968 in den USA und Indien gedreht, konnte allerdings wegen finanzieller und technischer Problem erst 1971 veröffentlicht werden. Regie führte Howard Worth, Produzent war Ravi Shankar selbst. Den experimentelleren Teil der Filmmusik steuerte sein damaliger Schüler Collin Walcott bei, der später u.a. mit der Band Oregon in Jazz- und Weltmusikkreisen selbst weltbekannt wurde. In zahlreichen Konzertsequenzen ist Ravi Shankar mit seinem damaligen Begleiter Alla Rakha an der Tabla zu sehen.

In der ersten Hälfte des Films geht es vor allem um Ravi Shankars tiefe Verwurzelung in der indischen Kultur - hier passt der Untertitel von der filmischen Reise in die Seele Indiens. Gezeigt werden stimmungsvolle Bilder von indischem Straßenleben, Geburt und Tod in Varanasi, dem Tanztheater Kathakali aus Kerala, einer Reise zu seinem Musik-Guru Allauddin Khan im zentralindischen Maihar, einem Besuch bei seinem spirituellen Guru Tat Maharaj, die Initiationszeremonie seines Schülers Shalil Shankar und seine Arbeit mit diversen indischen Meisterschülern. Hier inszeniert sich Ravi Shankar als orthodoxer Traditionalist, der verflossenen alten Zeiten nachtrauert und sich sorgt um eine ihren eigenen Wurzeln entfremdete junge Generation.

Beginnend mit einer Probe für eine Orchesterkomposition mit klassisch-indischerm Instrumentarium geht es in der zweiten Hälfte mehr um Ravi Shankars innovative künstlerische Leistungen und um sein Wirken im Westen. Zu sehen sind seine Zusammenarbeit mit dem klassisch-westlichen Geigenvirtuosen Yehudi  Menuhin, Unterrichtsstunden mit Beatle George Harrison und verschiedenen Gruppen westlicher Schüler, die Initiationszeremonie von Collin Walcott, die Verleihung der Ehrendoktorwürde der Universität von Kalifornien und eine private Gartenparty. Dieser Teil des Films mündet in eine Collage, die die Verwerfungen der Zeit reflektiert und denen Ravi Shankar damals verständnislos bis ablehnend gegenüberstand - indische Musik gemixt mit Rock, Hippies und Drogen.

Aus heutiger Sicht, mit 40 Jahren Abstand, erscheint "Raga" als in doppelter Hinsicht packendes Zeitdokument. Einerseits gibt der Film Einblicke in eine traditionelle indische Kultur, die schon im damals sich modernisierenden Indien (und erst recht im heutigen Indien im Zeitalter einer gnadenlos rasenden Globalisierung) zu verschwinden droht. Andererseits zeigt er die Faszination, aber auch die Befremdlichkeiten und Missverständnisse, die Indien in einer Zeit des Aufbrechens verkrusteter Strukturen in den späten 1960er Jahren für die junge Generation im Westen hatte. Der Film ist aber auch ein schönes Dokument von Ravi Shankars eigener Ambivalenz. Er präsentiert sich zwar als selbstlosen, tief in uralten Traditionen verwurzelten und hoch spirituellen Musiker, der sich altersweise um die Zukunft seines kulturellen Erbes sorgt, lässt aber auch erkennen, wie sehr ihn schon in seiner Jugend mit der Tanzgruppe seines Bruders  Uday in Paris der westliche Lebensstil anzog. Sein beeindruckendes Lebenswerk als Brückenbauer, der wohl mehr als jeder andere für die Anerkennung indischer Musik weltweit bewirkt hat, lässt sich wahrscheinlich nur aus dieser Ambivalenz heraus verstehen. In der Biografie Ravi Shankars spiegelt sich aber auch die grundlegende Situation klassischer indischer Musik im Spannungsfeld zwischen Tradition und Gegenwart, zwischen Spiritualität und Showbusiness.