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Visumsbestimmungen - Restriktionen lähmen Kulturaustausch

Kommentar von Peter Pannke
(Mai 2010)

Der Abbau von Grenzkontrollen innerhalb der EU auf Grund des Schengener Abkommens von 1995 ging einher mit der Abschottung der Schengen-Länder nach Außen durch Verschärfung von Grenzkontrollen und Visumsbestimmungen. Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 wurden weltweit immer neue Einschränkungen der Reisefreiheit eingeführt. Jüngst hat Indien die Auflagen für die Erteilung von Touristenvisa weiter verschärft. Die Folgen dieser Maßnahmen kommentiert Tagore-Preisträger Peter Pannke:

Für Musiker aus Drittweltstaaten und Osteuropa war es nie einfach, in Deutschland einzureisen. Ein drastisches Beispiel habe ich in meinem Buch "Sänger müssen zweimal sterben" geschildert. Indische, aber auch andere Künstler müssen sich in deutschen Botschaften absurden und demütigenden Prozeduren unterziehen, die oft den alleinigen Zweck zu haben scheinen, die Antragsteller abzuschrecken. Seit 1997 wird zudem von Deutschen, die Besucher aus nicht-europäischen Ländern einladen, ein Einkommensnachweis mit absurd hohen Anforderungen verlangt. Und der damalige deutsche Innenminister Schäuble forderte 2009 sogar eine zentrale Erfassung von sogenannten Mehrfacheinladern – Deutschen, die im Lauf von zwei Jahren mehr als zwei Ausländer einladen –, da sie verdächtig seien, Menschenhandel und Prostitution zu betreiben.

Es war seit langem schon zu erwarten, daß die indische Seite auf all diese Maßnahmen reagieren würde. Ab Anfang 2010 verschärfte sie nun die Bestimmungen für die Erteilung von Touristenvisa, denn – so heißt es auf der Webseite der indischen Botschaft – diese seien missbraucht worden. Von einem Touristen – so kann man die neue indische Regelung interpretieren, die einem Touristen nach abgeschlossenem Besuch ein zweimonatiges Einreiseverbot auferlegt – wird nicht erwartet, sich in das Land vertiefen zu wollen. Er soll einfach nur sein Geld ausgeben und dann verschwinden, um nicht allzu bald wiederzukommen. Da er schon vor dem Betreten des Landes einen genauen Reiseplan vorlegen soll, gibt es keinen Platz mehr für Spontaneität. Die wäre aber nötig, um etwa eine künstlerische Vision zu entwickeln.

Wie wirken sich diese Restriktionen auf den Kulturaustausch aus? In der Weltsicht der Bürokraten existieren Künstler nicht – man ist entweder Tourist, Journalist oder Geschäftsmann. Indische Musiker, die für Konzerte in die Europäische Union kommen, sind aber nichts von alledem. Ebenso wenig wie Europäer, die für Musikstudien in der Meister-Schüler-Tradition außerhalb offizieller Institutionen nach Indien gehen. Indische Musiker werden dadurch gezwungen, sich in Europa fälschlichlicherweise als Touristen auszugeben, während europäische Musikstudenten sich pro forma an indischen Hochschulen einschreiben oder zwischen Europa und Indien hin und her pendeln müssen. Die persönliche Zusammenarbeit zwischen Enthusiasten auf der Graswurzelebene, die den Großteil des Austausches mit indischen Musikern ausmacht, gerät so in eine Grauzone. Konzertveranstalter, Musiker und Musikstudenten werden genötigt, Visa-Bestimmungen, Ausländersteuer und andere Regularien zu umgehen und rutschen so an den Rand der Illegalität. Gleichzeitig versuchen die Regierungen seit Jahren, mehr und mehr Schlupflöcher zu schließen.

Es handelt sich bei all dem aber nicht nur um ein deutsch-indisches Problem, sondern um eines, das Europa mit dem Rest der Welt hat. Freemuse, eine Organisation, die sich weltweit für die Freiheit musikalischen Ausdrucks einsetzt, hat über die Einschränkungen der Reisefreiheit, die Musiker und Konzertveranstalter besonders hart treffen, schon vor zwei Jahren ein Weissbuch vorgelegt, das man von der Webseite www.freemuse.org abrufen kann. Die Reisefreiheit, das Recht zu wählen, wann und wohin man reisen möchte, galt einmal als ein grundlegendes Menschenrecht. Diese Zeiten sind offenbar vorbei.