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Schließung - Tropentheater Amsterdam

Hintergrundreportage von Ludwig Pesch, Amsterdam
(Januar 2013)

Am 1. Januar 2013 endete mit der Schließung des Tropentheaters Amsterdam ein wichtiges Kapitel der weltweiten Kulturbeziehungen Europas. Die Schließung kam ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, an dem das Tropentheater auf stetig steigendes Besucherinteresse verweisen konnte und sogar Pläne für eine eigene Zeitschrift mit Schwerpunkt Weltmusik hatte. Mehr als drei Jahrzehnte bot es qualitativ hochwertige Programme aus allen Kulturkreisen an. Experimentierfreudige und sozial engagierte KünstlerInnen ohne Unterstützung der eigenen Behörden konnten hier ihr Beziehungsnetz ausbauen. Für alle, die diese wichtigen Entwicklungen miterleben haben, bleibt Entschluss des Kabinetts, alle Subventionen für das Tropentheater zu streichen, daher unverständlich. Doch unter dem Druck inzwischen abgewählter Populisten, die Entwicklungshilfe prinzipiell ablehnen, musste das Königliche Tropeninstitut offenbar ein weithin sichtbares wie schmerzliches "Opfer" bringen. Der Verlust des Tropentheaters war dabei eher vertretbar, als die Schließung des Tropenmuseums und derjenigen Abteilungen, die arme Länder in den Tropen mit wissenschaftlicher Expertise versorgen. Dieser Beschluss wurde angesichts der Wirtschaftskrise auch nach den Neuwahlen von 2012 unwiderruflich. Das niederländische Kulturleben muss damit den Verlust mehrerer europaweit als vorbildlich geltender Initiativen, Musik- und Theater-Ensembles verkraften. Und Liebhaber der Musik- und Tanztraditionen Indiens werden wohl lange nicht mehr eine ähnlich vielfältige wie hochkarätige Reihe von Live-Programmen erleben können.

Das Tropentheater wurde 1975 als "Kellertheater" (Soeterijn) am Tropenmuseum für außereuropäische Musik- und Tanzdarbietungen gegründet. Es wurde schnell zur Anlaufstelle für Experten aus ganz unterschiedlichen Fachbereichen. Auch lieferte sein Filmprogramm wichtige Impulse, die vor der Verbreitung über DVDs und das Internet von besonderer Bedeutung waren. Manch ein Auftritt erwies sich als Beginn einer internationalen Weltmusik-Karriere. Dies war auch der engen Zusammenarbeit mit engagierten Partnereinrichtungen in Den Haag, Utrecht Groningen und Antwerpen zu verdanken. Von der Arbeit des Tropentheaters profitierten zudem europäische Partnerorganisationen und Kultureinrichtungen, die aus finanziellen Gründen keine eigenen Gastspiele produzieren konnten. Erschwerte bürokratische Hürden wie Schengen-Visum und Arbeitserlaubnis hindern v.a. kleine Einrichtungen daran, selbst noch KünstlerInnen aus anderen Kulturkreisen einzuladen.

Das indische Musikleben der Niederlande verdankt seine Blüte einer Initiative zweier Schlüsselfiguren, deren Stiftung India Muziek seit 1973 hunderte erfolgreicher Konzerte organisierte. Der Musikologe Felix van Lamsweerde (*1934) sorgte in seiner Position als Musikkurator im Tropenmuseum mit Sachverstand und Charme sowie Kontakten in Indien und Europa für die nötige fachliche Fundierung und Vernetzung. Er hatte schon 1957 einen Auftritt von Ravi Shankar im Concertgebouw Amsterdam organisiert und später in Indien Sitarunterricht von Vilyat Khan und Imrat Khan erhalten und in London Musikethnologie studiert. Ihm sind Live-Aufnahmen, Einführungen, Begleittexte, Rundfunksendungen und Workshops im Tropenmuseum zu verdanken. Der musikalische Laie John Eijlers (2004 verstorben) war die treibende Kraft der laufenden organisatorischen Arbeit. Mit einer Mischung aus eigener Intuition und Offenheit für die Meinung von Fachleuten gelang es ihm, die richtigen Künstler zu finden und öffentlichkeitswirksam zu präsentieren. Bis 1988 fanden über 160 Veranstaltungen der Stiftung India Muziek vorwiegend in der Mozes en Aaron-Kirche statt. Die Programmübersicht der ersten Jahre liest sich wie ein "Who Is Who" indischer Künstlerinnen. 1989 wurde die Reihe in das Programm des Tropentheaters integriert und somit "professionalisiert".

Dieser Konsolidierungsprozess fiel jedoch mit eskalierenden Honorarerwartungen bekannter KünstlerInnen zusammen; eine Entwicklung, die darauf zurückzuführen ist, dass sich ein wohlhabendes indisches Publikum in Migrationsländern wie den USA, Singapore und Australien intensiver mit ihren kulturellen Wurzeln zu beschäftigten begann. Für den neuerdings mit den indischen Künsten verbundenen gesellschaftlichen Status ist die indische Diaspora (PIO, Persons of Indian Origin) auch bereit, entsprechende Honorare, Unterrichtsgebühren und Mitgliedsbeiträge zu bezahlen. Veranstalter, die sich vorwiegend an ein westliches Publikum richten, können dabei weder finanziell mithalten noch vergleichbare Besucherzahlen garantieren. Der Wandel von Hörgewohnheiten (YouTube) und kulturellen Interessen hat sich zudem derartig verändert, dass auch große Namen in Europa keineswegs mehr volle Säle bedeuten. In den Niederlanden, wo eine große surinamisch-hindustanische Bevölkerungsgruppe lebt, verlagert sich das Publikumsinteresse allmählich von Live-Konzerten auf klassischen Tanz mit Playbackmusik und große Bollywood-Veranstaltungen.

Für Handelsnationen wie die Niederlande und die BRD ist ein kultureller Dialog auf Augenhöhe jedoch kein reiner Luxus. Mitunter wird die Ansicht vertreten, dass die Globalisierung und neuer Wohlstand in "Schwellenländern" wie Indien eine gesonderte Programmierung überflüssig gemacht habe. Angesichts vorherrschender Klischees, Berührungsängste und Vorurteile sind hier Zweifel angebracht. Neue Ansätze sind genauso nötig wie das kritische Hinterfragen bisheriger Errungenschaften. Dabei gilt zu bedenken, dass heutzutage ein reges, weltoffenes Kulturleben weder im Alleingang noch nach rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten realisierbar ist. Wenn Not erfinderisch macht, ist nicht auszuschließen, dass das Engagement für "andere" Kulturen wiederbelebt wird. Die Finanzkrise hat die Bereitschaft zur Zusammenarbeit allgemein erhöht. Gerade dort, wo kulturelle Vielfalt bedroht ist, lohnt es sich, den 2012 von den Vereinigten Nationen gewürdigten Wert kooperativen Handelns wörtlich zu nehmen und dabei von einander zu lernen.