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The Harmonium in North Indian Music

Rezension von Yogendra
(August 2011)

Das Harmonium ist heute eines der verbreitetsten und populärsten indischen Instrumente überhaupt. Quer durch alle Genres gibt es kaum noch eine Gesangsperformance ohne Harmoniumbegleitung - sei es im klassischen Khyal, in Thumri und Ghazal oder auch in Qawwali, Bhajan und Kirtan. Auch bei India Instruments zählen Harmoniums zu den meistverkauften Instrumenten. Aber obwohl seine Verwendung in und seine Eignung für indische Musik zeitweise heftigst umstritten war, lag die Geschichte des Harmoniums in der indischen Musik bis vor kurzem erstaunlicherweise ebenso weitgehend im Dunkeln wie die Gründe für seinen Erfolg. Diese Lücken schließt jetzt das Buch "The Harmonium in North Indian Music".

Die an der Universität Göttingen lehrende junge Musikwissenschaftlerin Birgit Abels weist darin nach, wie das Harmonium, eine europäische Erfindung aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zunächst als Import aus Europa in britischen Kolonialkreisen und der bengalischen Elite in Kalkutta heimisch wurde, dann den Weg ins Marathi-Theater und schließlich auch in die klassischen Musiktraditionen fand. Anschaulich schildert sie, wie in den 1880er Jahren ein einheimischer indischer Harmoniumbau begann, wie etwa gleichzeitig das europäische Standharmonium so modifiziert wurde, dass es auf dem Boden sitzend gespielt werden konnte und wie schließlich mitte des 20. Jahrhunderts auch die Produktion der tongebenden Metallzungen in Indien heimisch wurde.

Ausführlich geht Birgit Abels auf den Streit um die grundsätzliche Eignung des Harmoniums für indische Musik ein, der von 1940 bis 1970 in einem Verbot des Harmoniums bei Sendungen des staatlichen All India Radio gipfelte. Mit kulturwissenschaftlicher Perspektive entlarvt sie diesen Streit als einen rein weltanschaulichen Konflikt, der wenig mit den konkreten Problemen der musikalischen Praxis zu tun hatte und viel mit ideologischen Positionen.

Spannend und überzeugend auch, wie Birgit Abels dann den Erfolg des Harmoniums als Begleitinstrument in der klassischen nordindischen Musik ganz pragmatisch begründet. Sie zeigt auf, über welch große Flexibilität und Toleranzbreite die klassische Musikpraxis verfügt und wie das Harmonium davon profitiert hat. Sie arbeitet aber auch die Vorzüge des Harmoniums gegenüber einem Konkurrenzinstrument wie der Sarangi heraus. Und nicht zuletzt argumentiert sie mit den soziokulturellen Rollenzuweisungen zwischen Solist und Begleiter, die durch Harmoniumspieler nie in Frage gestellt wurden.

Insgesamt ein sehr kenntnis- und geistreiches, erhellendes Buch - und noch dazu weit und breit das einzige überhaupt zum Thema. Insofern müsste es eigentlich Pflichtlektüre sein für alle, die sich mit der Geschichte des Harmoniums in Indien und seiner Verwendung in der klassischen indischen Musik beschäftigen möchten. Leider sperrt sich die differenzierte kulturwissenschaftliche Sprache etwas gegen unvorgebildete Leser. Wer nur am Harmonium interessiert ist und kaum Kenntnisse der indischen Kunstmusik, ihrer neueren Geschichte und aktueller kulturwissenschaftlicher Diskurse mitbringt, wird sich mit dem Buch deshalb eher schwer tun. Aber neugierigen Geistern macht es ja vielleicht auch Lust darauf, sich in diese Themen einzulesen...

The Harmonium in North Indian Music, Paperback, 158 S., mit Bibliografie, Glossar, Anhang mit Messdaten, vier Notenbeispielen, zwölf s/w-Abbildungen und zahlreichen Fußnoten ist ab sofort für 12,- Euro (zzgl. 3,60 Euro Versandkosten) bei India Instruments erhältlich.