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Ustad Asad Ali Khan - Ein Leben für die Rudra Vina

Nachruf von Carsten Wicke
(August 2011)

Mit dem Tod von Ustad Asad Ali Khan am 14.6. verabschiedete sich der bedeutendste zeitgenössische Meister der traditionellen Rudra Vina und eine der großen Persönlichkeiten der nordindischen klassischen Musik. Einer traditionsreichen Familie von Vinaspielern entstammend, vertrat er mit dem Khandarbani Dhrupad-Stil die Jaipur Beenkar Gharana. Ob als Musiker, Lehrer oder Mensch - Khansahibs Lebensweg vermittelte, wie lebendig die Rudra Vina auch heute sein kann. Gleichwohl erschienen der subtile Klang seiner Vina und seine lebenslange Hingabe und Selbstdisziplin bereits zu seinen Lebzeiten oft wie Erinnerungen aus einer längst vergangenen Zeit. Strenge musikalische Grammatik gepaart mit ästhetischer Feinheit und künstlerischer Größe waren die Flügel, mit denen die Musik gleich einem Gebet seiner Vina entströmte. Dabei war es für ihn als gläubigen Moslem selbstverständlich, der Sehnsucht nach Gott mit der hinduistisch geprägten Dhrupadmusik eine Stimme zu geben.

So kompromisslos Khansahib sich bei der formalen Gestaltung der Ragas gab; der Duft des Bhakti Rasa, der Ruf nach göttlicher Liebe durchdrang jeden Ton seiner Musik. Das ‚Färben‘ des Geistes, Ideal jeder Ragainterpretation, konnte man im Gesang seiner Vina in einzigartiger Tiefe erleben. Obwohl er unzählige der nordindischen Ragas mit wenigen Melodiephrasen unverwechselbar charakterisieren konnte, bevorzugte er in seinen Konzerten eine kleine Auswahl an Ragas, deren Wirkung sich auf der Rudra Vina ganz besonders entfaltete. Allen voran sind hier sein unvergleichlich erhabener und zugleich intensiver Darbari, magisch-hypnotische Ragas wie Lalit, Todi, Multani, Marwa, Shri, Puriya und Chandrakauns, aber auch seine lyrischen Interpretationen von Yaman, Behag, Bageshri oder Khamaj zu erwähnen. In der für ihn typischen Verbindung von äußerlich kühler Präzision und innerlich leidenschaftlicher Hingabe mündete sein Vinaspiel häufig in einem Jor-Jhala, der das stille Sein einer Note in Perfektion mit dem gleichzeitigen Durchmessen der Horizonte von Melodie und Rhythmus verband.


Für Khansahib war die Musik zuallererst ein Lebensweg, der vom Ausübenden unbedingte Bereitschaft zur Entwicklung der eigenen Persönlichkeit verlangt. Nur mit dem Reifen des Charakters konnte sich in seinen Augen die Musik der Vina entwickeln. Er war sich bewusst, dass angesichts der ökonomieorientierten Entwicklung des modernen Indien, kaum vorhandener Förderungsstrukturen und der ungewissen Berufsperspektive das jahrzehntelange Studium eines alten, fast schon museumsreifen Instruments keine verlockende Perspektive für junge indische Musiker bietet. Khansahib lehrte von den 1960er bis 1980er Jahren am Bharatiya Kala Kendra Delhi und der Delhi University, unterrichtete hier aber aus Mangel an Vinaschülern vor allem Musiktheorie und Sitar im Vina-Stil. Seine privaten Rudra Vina-Schüler waren fast ausschließlich Ausländer. In einem Interview äußerte er die Befürchtung, dass in einigen Jahrzehnten seine westlichen Schüler nach Indien zurückkehren müssten, um die Tradition der Rudra Vina an die zukünftigen indischen Generationen weiterzugeben.


Mit Ustad Asad Ali Khan zu studieren, bedeutete vor allem auch Training von Geduld und Ausdauer. Als ich Mitte der 90er Jahre begann, von ihm zu lernen, sagte er mir, dass die traditionelle Ausbildung mehrere Jahre Vokalunterricht und anschließend weitere Jahre Training auf der Sitar erfordere, bevor mit dem Spiel der Rudra Vina begonnen würde. Er akzeptierte zwar, dass wir direkt mit Gesang und Vina einstiegen, aber seine Qualitätsansprüche änderte er nicht: Die ersten Unterrichtsjahre verbachten wir vor allem mit der Perfektionierung der Intonation des Grundtons Shadja. Es waren wohl auch Khansahibs Fokus auf Details und sein rigoroses Perfektionsmaß, die dazu führten, dass sich bislang keiner seiner Vinaschüler als Performer etabliert hat. Es bleibt die Hoffnung, dass sein auf der Vina ausgebildeter Neffe Zaki Haider die Familientradition fortsetzt und die traditionelle Rudra Vina weiter für ein weltweites Publikum erklingen lässt.


Obwohl Ustad Asad Ali Khans Lebenswerk 2008 von der indischen Regierung mit dem hohen Staatsorden Padma Bhushan gewürdigt wurde, sind bislang nur relativ wenige Veröffentlichungen seiner Musik erschienen. Angesichts der Einmaligkeit seiner Instrumententradition und des Repertoires bleibt zu wünschen, dass weitere Aufnahmen aus privaten und institutionellen Archiven zugänglich gemacht werden. 2009 gelang es der indischen Regisseurin Renuka George nach jahrelangen Bemühungen, eine Dokumentation mit Ustad Asad Ali Khan zu realisieren. Dieses bewegende Musikerportrait soll demnächst als DVD veröffentlicht werden.



* Carsten Wicke war Rudre Fina-Schüler von Gstaad Awad Ali Khan. Er lebt heute in Kalkutta. Neben dem weiteren Studium des Dhrupad widmet er sich der Weiterentwicklung und dem Bau von Rudre Ninas. Sein Dokumentarfilm ‚Music Masala‘ stellt u.a. auch Gstaad Awad Ali Khan im Unterricht und Konzert vor und ist bei India Instruments erhältlich - nähere Infos auf unserer Medien-Seite.